Orthographie vs Aussprache · Nützliche Informationen zur deutschen Rechtschreibung · mp3

Letzte Aktualisierung: 28.10.2023auf Spanisch lesen

Schreibt man Deutsch, wie man es spricht?

oder
Die Eigenheiten der deutschen Rechtschreibung

Simplicius Simplicissimus Teütsch · Schelmenroman von Grimmelshausen, Beispiel deutscher Sprache und Schreibweise von 1669

DaF-Lerner haben oft Schwierigkeiten damit, deutsche Wörter zu lesen bzw. auszusprechen.

Das liegt zum Teil an der Länge der vielen zusammengesetzten Substantive: hier erkennt man nämlich die sinnvollen Trennungen nur, wenn man schon die einzelnen Komponenten identifizieren kann.
Als Anfänger sehe ich  z.B. das Wort «Halsschmerzen» … und bekomme Kopfschmerzen!, denn ich frage mich: Wie soll ich denn 6 Konsonanten nacheinander aussprechen????!!!!!
Wenn ich weiß, dass die Komponenten «Hals» und «Schmerzen» heißen, wird es schon einfacher.

Aber das Problem der vielen Konsonanten in «schm»  ist damit noch nicht gelöst.

 

Spezielle Buchstabenkombinationen im Deutschen

«sch» = [∫]

Um  «schm» richtig auszusprechen, hilft es zu wissen, dass die Buchstaben-Kombination «sch» einen einzigen Laut wiedergibt, nämlich das Phonem [ ʃ ]:  schön, schnell, waschen, schreiben, Haschisch, Schmerzen …
Beim Buchstabieren spricht man die 3 Buchstaben übrigens als Einheit aus, man sagt
«estsehá» und nicht «es …  tsee … haa»

 

 

Dasselbe gilt für die Buchstabenkombination «ch»: sie repräsentiert auch nur ein Phonem, [x], das allerdings je nach vorangegangenem Laut weich [ç] oder hart [χ] ausgesprochen wird.

«ch» = [χ] nach den dunklen Vokalen a, o, u

Nach den Vokalen a, o und u, die hinten im Rachen geformt werden, spricht man «ch» ‚kratzig‘ aus, wie eine spanische „Jota“: nach, Sprache, lachen, gesprochen, kochen, Woche, Kuchen, Buch, sucht, …

 

«ch» = [ç] nach hellen Vokalen («e», «ä», «i», «ü», «ö», «y») und Konsonanten

Nach allen anderen Vokalen (e, ä, i, ü und ö, die vorderen Teil des Mundes geformt werden) und nach Konsonanten,  spricht man «ch» ‚weich‘ aus: [ç]  wie in  ich, spricht, sprechen, rechnen, möchte, chentlich, che, Bücher,  Psychologie,  Kirche, horchen, solche, manchmal, Mädchen, Härchen, bisschen, Häuschen, Wörtchen, Würstchen, Hündchen,…

 

Achtung! Die Kombination «chs» ist oft noch etwas anderes: man spricht sie meistens wie [ks] aus, wenn das ’s‘ nicht eine besondere Bedeutung hat.
Man spricht [ks], wenn das ’s‘ nicht (mehr) als bedeutungstragend gefühlt wird (oder wenn die Etymologie, also die Herkunft des Ausdrucks, nicht klar zu erkennen ist): der Nächste, wechseln, drechseln, am höchsten, wachsen, …
aber man trennt den Laut [ç] bzw. [χ] von einem Morphem oder einem Silbenanfang und sagt [ç s] bzw. [χ s]: du sprichst, du riechst, wachsam, du lachst, Schachspiel, …

Ein Tipp: immer, wenn du ein c in einem Wort siehst, handelt es sich entweder um ein Fremdwort (dann wird es -je nach Herkunft- entweder [ts], [k], [s] oder [t ʃ ] ausgesprochen) oder um eine Buchstabenkombination mit spezieller Aussprache [ ʃ ], [ç] oder [χ].

 

Wie kommt es zu diesen merkwürdigen Kombinationen?

Simplicissimus Teütsch · Schelmenroman von Grimmelshausen, Beispiel deutscher Sprache und Schreibweise von 1669

 

Als man begann, Texte auf Deutsch zu schreiben anstatt das Lateinische zu benutzen, übernahm man dafür natürlich das lateinische Alfabet: leider gibt es im Deutschen aber Laute, für die keine lateinischen Buchstaben existieren. Darum behalf man sich mit Buchstabenkombinationen wie «sch» oder «ch», die nun vielen Deutsch-Lernern Kopfschmerzen bereiten, da sie zunächst glauben, all diese Konsonanten einzeln aussprechen zu müssen.

Aber das sind nicht die einzigen Konventionen in der deutschen Orthographie.

 

 

Lange und kurze, geschlossene und offene Vokale

Das Deutsche ist eine Sprache mit langen und kurzen Vokalen. Manchmal unterscheiden sich zwei Wörter, die im selben Kontext vorkommen können, nur durch die Länge der Selbstlaute: die Höhle – die Hölle, ich mag – ich mach‘, ein Herr – ein Heer, ihre Ideen – irre Ideen,  stellen – stehlen, sie lasen – sie lassen,  …

Als es noch keine offizielle Rechtschreibung gab, erfanden kreative Schreiber diverse Notationen, wie man die Länge oder Kürze eines Vokals schriftlich wiedergeben könnte.
Daraus entwickelten sich im Laufe der Zeit weitere Eigenarten der deutschen Orthographie.
Leider ist kein einheitliches System dabei entstanden: nur ein Teil der Vokale ist eindeutig gekennzeichnet, und es gibt zu viele verschiedene Optionen.
Die wahrhaft intelligente Lösung bestand (und besteht) darin, die Länge oder Kürze eines Vokals durch bestimmte Buchstabenkombinationen NACH DEM VOKAL zu kennzeichnen…

 

Markierungen für kurze Vokale

verdoppelte Konsonanten nach einem Vokal signalisieren, dass der vorangehende Vokal kurz ausgesprochen wird.
Als doppelte Konsonanten zählen folgende Kombinationen:
«bb», «dd», «dt», «ff», «gg», «ck», «ll», «mm», «nn», «pp», «rr», «ss», «tt», «tz»
ACHTUNG!!! Sie werden nicht doppelt ausgesprochen! Es ist eine rein grafische Konvention, um den vorangehenden Vokal als kurz und (meist auch offen) zu markieren:
die Krabbe, buddeln, die Stadt, hoffen, der Affe,  joggen, der Zucker, zurück, voll, wollen, kommen, können, der Mann, die Gruppe, der Schuppen, das Wasser, hassen, die Ratte, die Mutter, der Platz, sitzen, …

 

 

Markierungen für gedehnte, lange Vokale

– Ein Doppelvokal bedeutet, dass der Laut gedehnt auszusprechen ist: hier gibt es die Kombinationen «aa», «ee» und «oo». («u», «i», «y», «ä», «ö» und «ü» kommen nicht als Doppelvokale vor.)
das Haar, der Saal, die Waage, der See, die Beere, leeren, das Moor,  das Moos, …

– Auch ein stummes «h» nach einem Vokal zeigt an, dass der vorangehende Vokal lang gesprochen wird.
Das «h» ist nur ein schriftliches Hilfsmittel, man spricht und hört es nicht; es hat nur die Funktion, den Vokal zu ‚verlängern‘.
er nahm, die Zahl, zählen, er nähme, das Mehl, lehren, der Verkehr, ihr, ihnen, das Rohr, die Kohle, der Köhler, die Möhre, der Schuh, die Kuh, sie fuhren, kühlen, die Mühle, rühren, …

– Um ein «i» als gedehnt zu markieren, gibt es 2 häufig gebrauchte Optionen:
man schreibt «ie» oder sogar «ieh».  ACHTUNG!!!! Man hört hier weder das «e» noch das «h»!
die Liebe, sie, sieben, der Diesel, das Bier, vier,  wie, viel,  du siehst, er stiehlt, das Vieh, studieren, passieren,  …

 

 

Das Eszett «ß»

Ein weiterer Trick -der erst bei der letzten Rechtschreibreform richtig systematisiert wurde- ist der Gebrauch von «ß».     HALT!!!  NEIN, das ist kein «B»!!!!
„Eszett“ heißt dieser exklusiv deutsche Buchstabe, und er ist nichts weiter als der Laut [s], ein ganz normales scharfes, stimmloses „s“.
Im Deutschen gibt es, wie im Französischen,  2 Sorten von „s“-Lauten , die in einigen Fällen einen Bedeutungsunterschied ausmachen. Um Missverständnissen vorzubeugen, schreibt man nach langen Vokalen den Laut [s] mit «ß»:   wir reißen – wir reisen, die weiße Frau – die weise Frau, die Muße – die Muse, die Bußen – die Busen, sie fraßen – die Phrasen,  sie ließen – sie leasen,  
Hier handelt es sich immer um Wörter mit einem gedehnten Vokal vor dem „s“: um das sonore/stimmhafte [z] vom scharfen/stimmlosen [s] beim Schreiben zu unterscheiden, benutzt man das «ß» (das allerdings nur als Kleinbuchstabe existiert!). Es markiert den vorangehenden Vokal bzw. Diphthong immer als lang:
die Straße, die Füße, der Fußball, grüßen, heißen, draußen, …

 

 

Kuriose Diphthonge

Schon in der ersten Deutschstunde werden die Lernenden mit zwei irritierenden Schreibweisen konfrontiert, die äußerst häufig vorkommen: die Graphien für die Laute [ai] und [oi] .

 

Die Kombinationen «eu» und «äu» für [oi]

Sie sind zunächst etwas gewöhnungsbedürftig, aber nach einem kurzen Training ist man in der Lage, das Wort «Euro» als [oiro] auszusprechen. Und das ist auch gut so, denn die Deutschen verstehen uns nicht, wenn wir „d[e][u]tsch“  statt „d[oi]tsch“ sagen.
Euro, deutsch, Europa, neue Häuser…

 

Die Kombination «ei» (auch: «ey» und «ay»)  für den Diphthong [ai]

Unsere N[oi]ronen haben aber auch mit dem [ai] zu kämpfen, das die D[oi]tschen mit Vorliebe «ei» schr[ai]ben -Verz[ai]hung: schreiben -.
Dabei wäre es so einfach, die Laute [ai] und [oi] so zu schreiben, wie man sie spricht!

Das sähe dann so aus:
*„Aber aine so tiefgraifende Ernoierung der doitschen Schraibwaise wird man auch bai der nächsten Rechtschraibreform wahrschainlich vermaiden, wail kainem Doitschen das hierbai resultierende Schriftbild sainer Sprache Froide beraiten würde…“*

anstatt der heute korrekten Schreibweise:
Aber eine
so tiefgreifende Erneuerung der deutschen Schreibweise wird man auch bei der nächsten Rechtschreibreform wahrscheinlich vermeiden, weil keinem Deutschen das hierbei resultierende Schriftbild seiner Sprache Freude bereiten würde…



2 Kommentare

  1. Jagotka Tomovska

    Sehr gut!

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