Brot – Olivenöl – Kichererbsen
Eine Studie zur „Lebensqualität“ der Unterschichten im Spanien Karls III.
König Karl III. (1759 – 1788) gilt als aufgeklärter Monarch. Mit dem Begriff Aufklärung wird gemeinhin die Vorstellung verknüpft, daß der aufgeklärte Landesherr auch die Lebensbedingungen seiner Untertanen verbesserte oder zumindest zu reformieren anstrebte. Gab es eine derartige Zielsetzung? Sah sich die Reformpolitik der absolutistischen bourbonischen Herrscher Spaniens im 18. Jahrhundert und besonders Karls III. und seiner maßgeblichen Mitarbeiter im Rahmen ihrer Umgestaltung und Modernisierung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft vor eine solche zentrale Aufgabe gestellt? Wurde sie zu lösen angestrebt oder war sie zumindest in der Reformpolitik mitangelegt? Daß allen Spaniern ein Zustand des Glücks beschert werden könne, wagten nur wenige zeitgenössische Autoren anzunehmen. Für die überwiegende Mehrzahl der Anhänger der Aufklärung standen die Fortschritte in Sachen Vernunft, Wissenschaft und Wirtschaft im Zentrum ihrer Bemühungen1. [ … ]
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Bibliografische Information – svz 86
Rainer Wohlfeil: Brot – Olivenöl – Kichererbsen.
Eine Studie zur ‚Lebensqualität‘ der Unterschichten im Spanien Karls III.
(ergänzt durch Beitrag Trudl Wohlfeil: Brotdarstellungen in der spanischen Kunst der frühen Neuzeit),
in: Quantität und Struktur. Festschrift für Kersten Krüger zum 60. Geburtstag, hg. von Werner Buchholz und Stefan Kroll, Universität Rostock 1999, S. 210 – 251 (bzw. S. 253ff.).
[ … ] Gegenwärtig wird in der deutschsprachigen Literatur die Frage von Horst Pietschmann in seiner hervorragenden, den neuesten Forschungsstand verarbeitenden, jedoch sehr knappen Darstellung der Reformpolitik des aufgeklärten Absolutismus2 – ebenso wie zuvor von Hartmut Heine3 – nur indirekt beantwortet. Auch Hans-Otto Kleinmann geht auf sie wenig ein4. Die spanische Literatur im Kontext des Jubiläumsjahres 1988 hat der Frage kaum nachgespürt5. Sie wurde nicht einmal von den Autoren eines Sammelbandes mit kritischer Betrachtungsweise als zentrale Aufgabe gesehen6.
Pietschmann zeigt auf, daß vor allem militärische Reformen, außenpolitische Verwicklungen und Kriege die ökonomischen Ressourcen der Monarchie so überforderten, daß der Staat in eine zunehmende Verschuldung geriet. Sie gefährdete seine politische Handlungsfähigkeit. Die Ausgaben für Hof und Verwaltung traten hinzu.
Aussagen auf der Makroebene sind wichtig. Auf eine Mikroebene begibt sich die nachfolgende Studie. Sie sucht Daten über Löhne und Einkommen, über Erzeuger- und Kleinhandelspreise zu ermitteln, um sich von einem derartigen Ansatz her an Aussagen anzunähern über die materielle Lebensführung jener Menschen, auf deren Arbeit und finanziellen Leistungen die ‚Lebensqualität‘ von König und Hof, hohem Klerus und Hochadel sowie der Spitzenkräfte im wirtschaftlichen Leben beruhte. Wurde diesen Erbringern von Steuern und Abgaben auch ‚Lebensqualität‘ zugestanden? Wie sah sie gegebenenfalls aus? Wurde angestrebt, sie zu heben? Auf der Suche nach einer Antwort auf diese zentrale Frage werden ausgewählte, in einem Arbeitsverhältnis lebende soziale Gruppen der Unterschichten in jener mehr als 90 Prozent umfassenden, demographisch wachsenden, gesellschaftlich stark heterogenen Bevölkerung7 untersucht, die dem estado llano, dem nicht privilegierten ‚Gemeinen Mann‘, zugerechnet wurden8. Ihre wirtschaftlichen Lebensbedingungen stehen im Mittelpunkt der historischen Analyse, nicht die der staatlich legitimierten Armen (pobres de solemnidad) – jener Menschen, die Armenrecht genossen9. Die ‚anerkannten Armen‘ waren ebenso wie die professionellen Bettler ein Diskussionspunkt unter Aufklärern, die sich kritisch mit den überlieferten Formen der Armenversorgung auseinandersetzten, an die Stelle kirchlich organisierter Wohltätigkeit Selbstversorgung über Arbeit stellen wollten10. Auch nicht einbezogen werden die Haus- oder ‚verschämten‘ Armen (pobres vergonzantes) und die Witwen und Waisen11. Ebenso unberücksichtigt bleiben die ‚Unterschichten‘ des geistlichen Standes12.
Die Studie kann infolge der regionalen, sehr unterschiedlichen Sozial- und Wirtschaftsstrukturen im Spanien des 18. Jahrhunderts13 und des Mangels an einschlägigen Arbeiten14 nur einen ersten Einstieg in die Thematik bieten und nur bedingt generelle Aussagen vorlegen. Die Daten entstammen vornehmlich Materialien aus der Hauptstadt Spaniens mit ihrem neu- und altkastilischen Umfeld und aus dem andalusischen Königreich bzw. der Provinz Granada der Krone Kastilien mit Forschungsschwerpunkt in Málaga. Andalusien wurde gewählt, weil diese Region mit 20,4 Prozent zum spanischen Staatshaushalt beitrug und damit vor den amerikanischen Besitzungen mit 20,3 Prozent lag15. Zugleich blieb Andalusien im Untersuchungszeitraum von schwerwiegenden Ereignissen wie Epidemien oder Erdbeben verschont. Die Entscheidung zugunsten der Hafen- und Handelsstadt Málaga ergab sich aus persönlichen Forschungsbedingungen. Für die Wahl des Untersuchungszeitraums sprach auch, daß im Ablauf der Regierungszeit Karls III. mit Einschränkungen zeitgemäß normale Lebensbedingungen gegeben waren, während ab etwa 1787 eine so starke Preisinflation einsetzte, daß von anomalen Verhältnissen gesprochen werden muß.
Eine Grundlage jeder neuzeitlichen Staatswirtschaft ist das Währungssystem. Mit ihm und dessen Zahlungsmitteln – bis 1780/82 nur Münzen, deren Ausgabe wesentlich von den hispanoamerikanischen Edelmetallieferungen abhing – befaßt sich in gebotener Kürze ein erster Teil (I), abgeschlossen mit einem tabellarischen Überblick zu Maßen und Gewichten im Raum Madrid. Auf die Grundlagen der spanischen Ernährung im 18. Jahrhundert geht ein zweiter Teil ein (II). Es schließt sich ein dritter Teil an, in dem die Quellenlage zur Frage nach der Lohn- und Einkommensstruktur unterer Schichten des estado llano und nach deren finanziellem Spielraum zur Lebensgestaltung knapp reflektiert wird (III). Erkenntnisse aus der Analyse der Daten werden zuerst verdeutlicht am Beispiel von Málaga (IV), danach an Madrid (V). Abschließend wird eine Antwort zu den leitenden Erkenntnisinteressen einzubringen versucht (VI).
I
Das kastilische Währungssystem der frühen Neuzeit beruhte auf seiner grundlegenden Reform durch die Katholischen Könige, Isabella I. (1451-1504) und Ferdinand V. von Kastilien (1452-1516; als König von Aragón Ferdinand II.)16. Der Wandel im Münzwesen setzte an bei den Goldmünzen. Unter Karl III. gab es fünf Wertstufen – die Münzen zu 8 escudos – die ‚onza‘, seit 1733 auch peso duro de oro und international quadrupel genannt -, zu 4 escudos, zu 2 escudos – auch als doblon, dublone oder Pistole bezeichnet -, zu 1 escudo und zu ½ escudo. Der escudo de oro zu 20 reales trug auch die Bezeichnung veintén. Die Pistole mit ursprünglich 6.20 Gramm Goldgehalt wurde seit dem 17. Jahrhundert zu einer Welthandelsmünze.
Das neue Währungssystem wurde vor allem mit der Ordnung der Silbermünzen durch den Erlaß der Katholischen Könige vom 13. Juni 1497 aus Medina del Campo begründet. Diese Münzordnung trug Spanien eine führende Rolle auf dem monetären Felde in Europa ein – besonders im Mittelmeerhandel. Davon unberührt blieben die ‚Scheidemünzen‘, besonders der maravedí. Entstanden im Mittelalter als kastilische Nachahmung einer Prägung der Almoraviden wurde der maravedí zur grundlegenden Recheneinheit bestimmt, blieb aber zugleich kupferne Scheidemünze mit mehreren Wertstufen. Maravedíes waren die Geldstücke, mit denen die einfachen Menschen täglich und am meisten zu tun hatten. Neben der Münze zu einem maravedí gab es als weitere Scheidemünzen Stücke zu 8 maravedíes – den ochote -, zu 4 maravedíes – den cuarto -, und zu 2 maravedíes – den ochavo.
Der Erlaß von 1497 hatte die kleinste Silbermünze, den real de plata, auf ein Gewicht von 3,24 Gramm bei einem Feingehalt von 93 % Silber und 7 % Kupfer festgelegt17. Diesem real entsprachen 34 maravedíes. Der gesetzliche Feingehalt an Silber wurde später mehrfach gemindert. Ausgegeben wurden im 18. Jahrhundert Münzen zu ½ und zu 1 real , zu 2, zu 4 und zu 8 reales, in Amerika auch zu ¼ real. Zentrale Bedeutung erlangte die höchstwertige Silbermünze, die 8 reales wert war. Bezeichnet wurde sie als real de a ocho, peso, peso fuerte, duro oder spanischer Piaster. Als duro wird im gegenwärtigen Sprachgebrauch die Münze zu 5 pesetas bezeichnet – ein monetäres Beispiel für den qualitativen Wandel eines Begriffs.
Die Neuordnung selbst wurde, obgleich sie eigentlich nur für die sieben Münzstätten der Krone Kastilien galt, zur Grundlage des monetären Systems in Spanien unter den habsburgischen und bourbonischen Königen, auch wenn es bis ins 18.Jahrhundert hinein in Spanien kein einheitliches Münz- und Rechengeldsystem gab, die Kupferprägungen eingeschlossen. Unter dem ersten bourbonischen König Philipp V. (1700-1746) erzwangen die hohen Kriegskosten Eingriffe in die Währungsgrundlagen18. Obgleich in Münzstätten des Mutterlandes und der überseeischen Besitzungen ausgegebene Münzen im gesamten Herrschaftsbereich des spanischen Königs gleichberechtigte Zahlungsmittel waren, führte die schlechte Prägequalität der kolonialen Münzstätten19 bis in die Herrschaftszeit Karls III. zwangsläufig dazu, daß deren Produkte im Mutterland umgeprägt wurden. Erst die Münzreformen des 18. Jahrhunderts führten zu jenen Prägungen, die besonders über den ‚Zwei-Säulen-Taler‘ den peso zur Welthandelsmünze werden ließen20.
Unter Ferdinand VI. (1746-1759) gab es nur geringfügige Eingriffe in das Münzwesen21. Erst unter Karl III. kam es aus dem fiskalischen Grund, dem Staat zusätzliche Einnahmen zu verschaffen, zu größeren Maßnahmen22. Die Veränderungen setzten 1771 in den überseeischen Besitzungen ein, das Mutterland folgte 1772. Sie waren verbunden mit geheimgehaltenen Abwertungen. Für das Mutterland setzte die Pragmática vom 29. Mai 1772 die Einführung eines neuen Münzbildes fest, verbunden mit Absenkung des Feingehaltes beim Silbergeld auf 90,3 Prozent und bei Goldmünzen bis 1786 anstatt bisher 22 Karat auf 21 ¾ Karat, d. h. auf 90,1 Prozent Edelmetallanteil; von 1786 bis 1848 enthielten sie nur noch 21 Karat23.
Goldmünzen waren im Mutterland und in den überseeischen Besitzungen gleichwertig, wurden jedoch in Spanien und Amerika im Verhältnis zu den Silbermünzen verschieden bewertet. Die Absenkung des Feingehaltes der Goldmünzen dürfte ohne größere Auswirkung auf die Lebenshaltungskosten der Unterschichten gewesen sein, folgenreicher war die Abwertung der Silbermünzen. Die Eingriffe von 1772 erbrachten beim real einen Wertverlust um 1,52 Prozent ein, ab 1787 betrug er sogar 3 Prozent24. Unberücksichtigt bleiben können die seit 1780 ausgegebenen vales reales – Schuldverschreibungen mit Annahmezwang – und die ersten Banknoten der 1782 gegründeten ‚Banco de San Carlos‘25.
Die Unterschichten benutzten im täglichen Zahlungsverkehr vor allem folgende Münzen:
maravedí (Werte: ochavo, cuarto, ochote), real de plata (Werte zu ½, 1, 2, 4 und 8 reales)26.
51 maravedíes = 1 real de plata = 1 ½ reales de vellón
Bei der Veranlagung zu Steuern und Abgaben, beim Abschluß von Verträgen und Handelsgeschäften arbeitete Spanien im Zeitalter Karls III. mit ungeprägtem Rechengeld – der moneda imaginaria de vellón. Rechengeldeinheiten waren mit Zentrum im real de vellón:
maravedí de vellón, real de vellón, escudo de vellón, ducado de vellón, peso de vellón
Das Rechengeld, wertmäßig ausgerichtet am Silberwert, erschien stabiler. Der real de vellón verlor aber unter Karl III. infolge der Verringerung des Silberanteils im real provincial auch an Wert – insgesamt 13 Prozent. Zwischen 1772 und 1785 entsprachen dem maravedí de vellón 0,03570 Gramm reinen Silbers.
34 maravedíes de vellón = 1 real de vellón
340 maravedíes de vellón bzw. 10 reales de vellón = escudo de vellón
375 maravedíes de vellón = 1 ducado
512 maravedíes de vellón = 1 peso de vellón
Gewichts- und Volumenmaße
quintal = 46,014 Kilogramm = 4 arrobas = 100 libras
arroba27 = 11,502 Kilogramm = 25 libras
libra28 = 460 Gramm
fanega29 = 55,34 Liter
II
Im Mittelpunkt der Lebenshaltungskosten standen die Ausgaben für die Ernährung. Sie war auch im 18. Jahrhundert gekennzeichnet durch eine überkommene Genügsamkeit30. Die täglichen Speisen der Spanier beruhten auf wenigen agrarischen Produkten31.
Zentrales Nahrungsmittel war der Weizen, gegessen vornehmlich als Brot, verkauft normalerweise als pan grande mit einem Gewicht von zwei libras. Weizen wurde auch als Mehl zum Kochen einer Speise verwandt, die mit Wasser, Salz und Olivenöl bereitet wurde – eines Breies, der noch gegenwärtig unter der Bezeichnung gacha verzehrt wird. Ein weiteres Gericht waren migas – eine Speise aus Weizenmehl- oder Brotkrumen, die mit Öl, Knoblauch und eventuell auch spanischem Pfeffer gebraten wurden.
In der Mitte des 18. Jahrhunderts wurden zwei von der Bodenqualität abhängige Sorten Weizen unterschieden – der trigo alhaga und der trigo marzal, auch marcial oder valenciano genannt32. Die Sorten differierten im Preis. Beispielsweise kostete in Miranda de Ebro 1752 die fanega ‚trigo alaga‘ 18, die fanega ‚trigo balenziano o marzial‘ 16 reales. Die Gemeinde Atienza in der Provinz Guadalajara unterschied zwischen einem trigo puro, auch trigo comun genannt, zu 15 reales für die fanega, und dem trigo centenoso zu 13 reales33. Bei letzterem handelte es sich um eine Mischung zweier Sorten, die schon vor der Aussaat hergestellt wurde. Aus ihrem Mehl wurde ein Brot gebacken, das die Bezeichnung pan centenoso führte34.
Das Olivenöl deckte den Fettbedarf. In seiner Qualität läßt es sich nicht mit den heutigen Speiseölen vergleichen. Es wurde von den Reisenden aus dem nördlichen Europa mit den in Spanien weitgehend nicht verwendeten tierischen Speisefetten wie Schmalz und Butter35 als ihnen vertrauten verglichen und auf dieser Grundlage nicht nur negativ bewertet, sondern sogar verabscheut: Dem Olivenöl eignete nach ihren Urteilen ein unangenehmer Geruch, und es schmeckte ranzig36. Daran hatten offensichtlich auch einschlägige Verordnungen nichts ändern können37. Diese Bewertung erscheint nicht ungerechtfertigt, weil die Oliven durch Insekten verunreinigt und mit überlieferten groben Preßverfahren bearbeitet wurden, die das Öl fermentierten und ranzig werden ließen. Erst im 19.Jahrhundert ist die Fabrikation des Olivenöls entscheidend verbessert worden38. Den Reisenden befremdete auch, daß das gleiche Öl zum Tunken des Brotes, zum Kochen und gegebenenfalls Braten, zur Salatzubereitung und als Brennstoff in den Lampen verwendet wurde. [ … ]
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