Prof. em. Dr. Rainer Wohlfeil:
Kaiser Karl V.
Vom ‚burgundischen Ritter‘ zum ‚Ahnherrn Österreichs‘
Die Münze Österreich gab am 21. Oktober 1992 eine Silberprägung zu 100 Schilling heraus, deren Revers – die Bildseite einer Münze – ein Bildnis Karls V. (1500-1558) zeigt1, während sich auf dem Avers – ihrer Wertseite – Bildnisse Kaiser Ferdinands I. (1503-1564) und König Philipp II. von Spanien (1527-1598) befinden2.
Diese Sondergedenkmünze ordnet sich ein in eine Millenium-Serie, mit der die Republik Österreich seit 1991 bis zum Jubiläumsjahr 1996 in acht silbernen und sechs goldenen Prägungen sowie einer ‚Kursmünze‘ an die 1000-jährige österreichische Geschichte erinnerte3. Die Kursmünze zeigt [ … ]
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svz 79 – bibliografische Information :
Rainer Wohlfeil: Kaiser Karl V. – Vom ‚burgundischen Ritter‘ zum ‚Ahnherrn Österreichs’,
in: Bildnis und Image. Das Portrait zwischen Intention und Rezeption,
hg. von Andreas Köstler und Ernst Seidl, München 1998, S. 163 – 178.
[ … ] den Babenberger Markgrafen Heinrich I. (994-1018). die Münzen in Silber bringen die Bildnisse der Habsburger König Rudolf I. (1218-1291), Kaiser Maximilian I. (1459-1519), Kaiser Karl V. (1500-1558), Kaiser Leopold I. (1640-1705) und Kaiser Franz Joseph I. (1830-1916) sowie den Babenberger Markgrafen Liutpold bzw. Leopold III. (1095-1136), in Gold der Habsburger Kaiser Rudolf II. (1552-1612 ), Kaiserin Maria Theresia (1717-1780) und Kaiser Franz I. (1768-1835) sowie des Herzogs Heinrich II. Jasomirgott (1140-1177) aus dem Geschlecht der Babenberger. Die restlichen Prägungen spiegeln zentrale Geschehnisse wider. Im Rahmen fortwährend reichhaltiger Sonderprägungen waren zuvor u.a. 1965 Herzog Rudolf IV. (1358-1365), 1967 und 1980 Kaiserin Maria Theresia, 1969 Kaiser Maximilian I. und 1978 König Rudolf I. Gedenkmünzen in Silber gewidmet worden4. Die Eltern Karls V., König Philipp den Schönen von Kastilien, Herzog von Burgund (1478-1506), und Königin Juana von Kastilien-Aragón (1479-1555), enthält der Avers der Gedenkmünze Maximilians I. von 1992 zusammen mit dem bekannten Wahlspruch ‚TU FELIX AUSTRIA NUBE‘.
In Österreich erstmals, in Deutschland bisher gar nicht, waren zuvor schon in anderen Staaten auf Münz- und Papiergeld Bildnisse Karls V. eingebracht worden, beispielsweise in Belgien im Rahmen von ECU-Prägungen5, vor allem aber in Spanien. Dort hatte 1925 eine Banknote zu 1.000 Peseten ein Porträt des Kaisers enthalten, 1940 zeigte ihn eine weitere6. 1989 wurden Tizians Bildnis des Kaisers zu Pferd in der Schlacht bei Mühlberg, seine Devise ‚PLUS ULTRA‘ und sein Emblem, die Säulen des Herkules, als Münzbilder für ECU-Prägungen verwandt7. 1990 enthielt der höchste Wert der ersten Ausgabe8 zur Erinnerung des 500. Jahrestages der Entdeckung Amerikas sein Bildnis – eine Goldmünze im Wert von 80.000 Peseten. Daß Säulenemblem und Wahlspruch erstmals während Karls Herrschaftszeit auf hispano-amerikanischen Prägungen erschienen, später auf spanische Münzen übernommen wurden und noch im heutigen Staatswappen Spaniens und damit auf Kursmünzen gegenwärtig sind9, sei am Rande erwähnt. Kehren wir zum Revers der Ausgabe vom 21. Oktober 1992 zurück10. Nach einer Bildbeschreibung stellt sich als erste die Frage nach der Vorlage, als zweite diejenige, welches Produktionsinteresse verband sich mit der Bildnis-Findung für die Vorlage, entsprach ihrer Intention die Funktion des Bildnisses und wie wurde es von den Zeitgenossen rezipiert? Als dritte und letzte Frage wird sich dem Problem gewidmet werden, welche Aussagen soll das Bild des Kaisers auf der Gedenkprägung vermitteln, deren Münzbild unter mehreren Entwürfen ausgewählt wurde? Bestätigt dessen Analyse meine Annahme, daß die Münze Österreich dem Kaiser ein Image11 zuschreibt, das sich als gegenwartsbezogen erweist? Läßt sich vielleicht ein Wandel zwischen der Intention der Bildfindung und der Funktion des gefundenen Bildes bei dessen Verwendung ermitteln? Begrifflich spreche ich nachfolgend von Bildnis, wenn es sich um ein Porträt, von Bild, wenn es sich um ein Vorstellungs- oder Geschichtsbild handelt.
Bildbeschreibung und Vorlagenfindung
Der Kaiser als Dreiviertelfigur, leicht nach rechts gewendet, ist gekleidet in einen ritterlichen Turnierharnisch, gekennzeichnet durch Achseln mit zwei Schwebescheiben und emporgeklapptem Rüsthaken. Er trägt die Kette des Ordens vom Goldenen Vlies. Das bärtige Gesicht vermittelt den Eindruck eines gealterten Mannes. Seine linke Hand umfaßt den Griff eines linksseitig gegürteten Schwertes. In der Hand des abwärts ausgestreckten rechten Armes hält Karl eine emporgerichtete, leicht aufgeblätterte Rolle. In Höhe seiner rechten Schulter befindet sich als Wappen ein Doppeladler mit angedeutetem Habsburger Bindenschild als Herzschild, die Adlerköpfe von Nimben umfaßt. Das Wappen wird umrahmt von der Halskette des Ordens vom Goldenen Vlies mit ihrem Anhänger, einem Widderfell12, und gekrönt von der Kaiserkrone – ein Wappen, wie es Albrecht Dürers Bildnis Kaiser Maximilians I. von 1519 zeigt13. In Höhe der linken Schulter befindet sich das Wappen des spanischen Zweiges der Habsburger, allerdings in relativ freier Gestaltung der Details und seitenverkehrt wiedergegeben14. Auch es ist umrahmt von der Halskette, und über ihm schwebt eine Krone. Verbunden werden beide Kronen durch die kaiserliche Devise PLUS ULTRA. Außerdem enthält das Münzbild die Aufschrift KAISER KARL V.
Die Vorlage15 für die Münze findet sich lt. Mitteilung ihres Graveurs in dem Taschenbuch von Herbert Nette über Karl V., dem Band 280 in der Reihe ‚rowohlts monographien‘16. Ergänzend teilte er lapidar mit: „Leider stehen keine genaueren Angaben über den Kupferstich dabei. Im Quellennachweis der Abbildungen steht, daß das Bild aus dem Bilderarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin stammt.“
Damit ist die zweite Frage, die nach der Vorlage dieser Vorlage aufgeworfen. Sie zu beantworten heißt, von dem Sachverhalt auszugehen, daß es bisher keine übergreifende Untersuchung gibt, die sich – wie beispielsweise Wolfgang Hilger für Ferdinand I.17 – mit der Ikonographie Karls V. beschäftigt hat. Nur Vorarbeiten liegen vor, wie etwa die von Enrique Pacheco y de Leyva18, von Karl Brandi19 oder von Elena Páez20. In ähnlicher Weise wie bei Nette ist auch bei der Reproduktion des Stiches im Band 18 der Historia de Espana verfahren worden – schlichter Verweis auf die Sammlung in der Nationalbibliothek zu Madrid21. Der Stich findet sich jedoch nicht in den Katalogen der beiden großen spanischen Ausstellungen zu Toledo22 und Barcelona23 von 1958 anläßlich des 400. Todestages Karls V., auch nicht im Genter Katalog24 zur Ausstellung von 1955, war jedoch in der Wiener Sonderausstellung von 1958 zu sehen25. Ermittelt werden konnte die Vorlage über die Materialsammlung zur Politischen Ikonographie im Kunstgeschichtlichen Seminar an der Universität Hamburg. Es handelt sich um einen Kupferstich von Lucas Vorsterman (1595-1675), um 1617/1618 gestochen26. Dem Stich entnommen ist nur die Dreiviertelfigur; an die Stelle des erhobenen Schwertes ist als Abänderung die Rolle – gemäß Münzbildschöpfer eine Landkarte – eingebracht, während das bei Vorsterman gezogene Schwert linksseitig gegürtet hängt.
Der Kupferstich von Vorsterman beruht nach Justus Müller Hofstede auf einer Stechervorlage von Peter Paul Rubens (1577-1640)27. Deren Entstehungsgeschichte analysierte Müller Hofstede in seiner Studie ‚Rubens und Tizian: Das Bild Karls V.‘28 unter der Fragestellung, „welche Gegenstände Rubens nach Tizian malte“, und zwar begrenzt auf „das Feld des Historischen Porträts“29. Im Rahmen der Kopien durch Rubens gewann das Bildnis Karls V. eine besondere Bedeutung. Hier muß ich mich auf zwei Porträts beschränken.
Während seines ersten Aufenthaltes von 1603 bis 1604 in Madrid kopierte Rubens 1603 das Gemälde ‚Porträt Karls V. mit erhobenem Schwert‘, das Tizian (Tiziano Vecellio, um 1487/90-1576) als Dreiviertelfigur 1530 wahrscheinlich in den Wochen vor der Kaiserkrönung zu Bologna gemalt hatte und das sich damals im Schloß El Pardo befand, nach 1636 aber verloren ging. Mit diesem wahrscheinlich auftragsfreien Bildnis hatte sich Tizian dem Kaiser empfehlen wollen. Rubens Kopie30 zeigt einen bärtigen Mann mit jugendlichen Gesichtszügen, der jenen Turnierharnisch trägt, der ihn auch auf dem Kupferstich Vorstermans kleidet und der in leicht abgeänderter Form auf der Münze zu erkennen ist. Rubens kopierte außerdem das ebenfalls verloren gegangene Gemälde ‚Bildnis Karls V. mit dem Kommandostab‘31, das Tizian 1548 in Augsburg gemalt hatte32 – ein gleichfalls dreiviertelfiguriges Kaiserporträt. Der Harnisch gleicht hier jenem, den Karl V. auf dem gleichzeitigen Reiterbildnis33 trägt, und in diesen beiden Darstellungen ragt aus ihm ein Hemdkragen hervor. Das bärtige Gesicht mit Stirnfalten trägt die Züge eines gereiften, nachdenklich wirkenden Mannes. Diesen Kopf mit Hemdkragen übernahm Rubens, als er um 1617/18 als Stichvorzeichnung für Vorsterman auf seine Kopie des ‚Porträts Karls V. mit erhobenem Schwert‘ zurückgriff34; er ersetzte also gewissermaßen einen jugendlichen Ausdruck durch den eines gereiften Mannes.
Fragen an die Vorlagen
Die Ermittlung der Bildnisvorlage und ihre erste Einordnung in historische Zusammenhänge erscheinen ausreichend, um nunmehr zweitens nach Intention und Produktionsinteresse von Rubens und Vorsterman ebenso zu fragen wie danach, welche zeitgenössische Rezeption die Bildnisse erfuhren. Die Aufgabe wird auf zwei Ebenen angegangen,
- a) unter der Problematik, welches Bild des Kaisers vermitteln generell Rubens‘ Bildnisse, welchem Zweck sollten sie dienen und welche „Vorstellungen, Emotionen und Wertungen“35 verband der Maler mit seinen Kopien, besonders aber mit seiner Stichvorlage?
- b) mit der Frage, entsprach das von Rubens vermittelte Bild Karls V. der Vorstellung, die Tizian mit seinen Porträts verbunden hatte, hatten sie die zeitgenössische Auffassung vom Kaiser reflektiert und gegebenenfalls welche?
Zu a) Rubens wurde während seines ersten Aufenthalts am spanischen Hof erstmalig intensiv mit der Persönlichkeit Kaiser Karls V. konfrontiert. Während zu Beginn des 17. Jahrhunderts im Zeichen des Konfessionalismus in Ländern mit protestantischer Bevölkerung das Interesse an jenem Kaiser weitgehend geschwunden war und im Umfeld der österreichischen Habsburger sein Andenken zwar „offiziell respektvoll“ bewahrt wurde, aber dieser Erinnerung stark bedrückende Züge innewohnten, hatte in Spanien bereits Philipp II. begonnen, „aus seinem Vater einen Mythos, ja einen Heiligen zu machen“36. Diese Deutung fand in der Biographie Karls V. von Prudencio de Sandoval ihren historiographischen Niederschlag – eine Interpretation, die über Jahrhunderte die verklärte Vorstellung vom Ehrerbietung erheischenden Kaiser geprägt hat37. Sie erschien während der Zeit, da Rubens in Madrid weilte, wird ihm bekannt geworden sein und zusammen mit Tizians Bildnissen seine zukünftige Anschauung grundsätzlich geformt haben. Zuvor dürften seine Kenntnisse von einer in den ehemaligen burgundischen Niederlanden populären, in gewisser Weise freundlichen Erinnerung an das Landeskind Karl bestimmt gewesen sein – freundlich im Vergleich zum negativen Bild seines Sohnes und Nachfolgers Philipp II.
Die Thesen von Müller Hofstede, daß Rubens in Madrid „zum erstenmal die überragende geschichtlich-politische Potenz der Habsburger“ erlebte, er in Karl V. „die Gründergestalt dieser dynastischen und imperialen Macht erblickt“38 hat und ihn seither „vor allem im Glanze eines apotheotischen Ruhmes sah“39, dürften zutreffen. Diesen Karl V. holte Rubens in seinen Madrider Kopien von vier Kaiserbildnissen Tizians in seine niederländisch-flämische Heimat ‚heim‘40. Hier konnten sie zu seiner Zeit jedoch nur bedingt rezipiert werden, denn sie hingen mit zahlreichen weiteren Bildnissen von Familienangehörigen und Zeitgenossen jenes Kaisers noch 1640 in Rubens‘ Haus41 – ausgenommen der Stich von Vorsterman. In dessen Vorlage ersetzte Rubens in seiner Kopie von Tizians Bildnis des Dreißigjährigen – porträtiert im Verständnis eines Würde, Stolz und auch Liebenswürdigkeit ausstrahlenden burgundischen Ritters, dessen blanke Waffe42 jene Turnierbereitschaft verkündet, der Karl so gerne gehuldigt hat und in deren Kontext er sich 1528 und noch einmal 1536 zum Zweikampf mit dem französischen König Franz I. bereit erklärte43 – den jugendlich wirkenden Kopf durch das gereift-nachdenkliche Haupt seiner Kopie des Augsburger Bildnisses Tizians von 1548. Hatte gemäß Müller Hofstede Rubens „bei seinen Kopien von 1603 … nicht allein zwei verschiedene Lebensstufen, sondern auch zwei polare Aspekte von Karls Wesen vor Augen gestanden“, hatte „das Porträt von 1530 … Bereitschaft zu Entscheidungen und ausgeprägter Willenskraft“ vermittelt, dagegen das „Bildnis von 1548 … das oft zaudernde Nachsinnen und die scheue Verschlossenheit … ahnen lassen“44, beschwor Rubens in seiner Stichvorlage jenen Herzog von Burgund, der während seiner Herrschaftszeit die burgundischen Niederlande abgerundet und ihnen mit dem Burgundischen Vertrag von 1548 und der Pragmatischen Sanktion von 1549 ihre institutionelle Einheit gesichert zu haben schien. Die Erinnerung an die Vergangenheit im Zeichen burgundischer Gemeinsamkeit der südlichen und nördlichen Niederlande war in Antwerpen lebendig geblieben45, sie prägte Rubens‘ burgundisches Geschichtsbild und schlug sich in seinem Werk mannigfaltig nieder46. Es war eine Konzeption von Vergangenheit, die Rubens seinen Zeitgenossen durch ein Bildnis zu vermitteln suchte: Die Stichvorlage bot mit dem Porträt Karls V. das Bild eines verantwortungsbewußten Herzogs von Burgund und reflektierte in leicht apotheotischer Sicht sein Wirken für die burgundischen Niederlande. Beschworen wurde der Inbegriff eines Landesherrn, der – die Bürde seines Amtes offensichtlich reflektierend – seine Aufgabe in ritterlicher Gesinnung und Haltung wahrgenommen hatte. An ihn zu erinnern konnte in der Zeit des spanisch-niederländischen Waffenstillstandes47 von 1609 bis 1621 der Idee eines dauerhaften Ausgleichs und wieder friedlichen Nebeneinanders der entzweiten Teile der ehemaligen Gesamtheit dienlich sein. Ob und wie die Zeitgenossen das Bildnis von 1618 rezipierten, bleibt eine offene Frage. Sie zu beantworten, würde eine eigene Untersuchung erfordern. Einstweilen läßt sich nur feststellen, daß der Stich mehrfach überliefert ist.
Zu b) Spätestens seit der Studie von Franz Bosbach48 über die Monarchia Universalis wissen wir konkret, wie intensiv in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts das Für und Wider einer Umsetzung des Kaisertums Karls V. in ein universales Herrschertum erörtert worden ist49 – Universalmonarchie begriffen als „theoretische Konzeption von Herrschaft, die in Überordnung über alle Herrscher allgemein interessierende und über den einzelnen Herrschaftsbereich hinausreichende Aufgaben erfüllte“50. In erster Linie belegt der literarische Niederschlag, wie variantenreich und schillernd die Vorstellungen von der Idee einer Weltherrschaft waren – ein Niederschlag, der sich vornehmlich in den Verlautbarungen der Tagespolitik, also in der Propaganda, in den politischen Überlegungen innerhalb der engeren Führungsgruppen, vor allen in Denkschriften, und in den Traktaten der Legisten und Kanonisten findet. Unterschiedliche Auffassungen stießen nicht nur in einer begrenzten humanistisch-literarischen Öffentlichkeit aufeinander, sondern auch am Kaiserhof. Propagandistisch wurde die Idee der Universalmonarchie vorwiegend bis um 1530 vertreten, d. h. zu Lebzeiten des Großkanzlers Gattinara. Um 1549 feierten dann Panegyriker den Kaiser und seinen Sohn Philipp als Universalherrscher51. Der Kaiser hat sich mit keiner der beiden Vorstellungen uneingeschränkt identifiziert, versuchte aber ebenso wenig ihre Verbreitung zu verhindern wie die jener ‚Bilder‘, die – literarisch oder durch gestaltende Künstler geschaffen – ihn als Kriegsheld lobten, der als neuer Herkules die Werke seines ‚Ahnherrn‘ in den Schatten stellte52, als Friedensfürst priesen53 oder in religiösen Kategorien verherrlichten54. Beispielhaft für die Verbildlichungen als ‚Kriegsheld‘ bzw. ‚Friedensfürst‘ verweise ich auf die Halbreliefs an den Hauptportalpostamenten des kaiserlichen Palastes in der Alhambra zu Granada. Die beiden Friedensallegorien sind für mich ein Dokument menschlichen Hoffens und Irrens in zeitüberdauerndem Marmor55.
Die künstlerisch-literarische Diskussion hat vor allem Fernando Checa Cremades untersucht – aufgezeigt, daß schon um 1530 jene Serie von Verbildlichungen einsetzte, mit denen Karl V. verherrlicht zu werden begann, allegorisch dargestellt oder mystifiziert, als geheiligte Person gedeutet und insgesamt als Inbegriff des Kaisertums vorgestellt56 – eingeordnet in jene sinnbildlichen Bezüge, wie sie die Literatur bereits anbot. Jetzt wurde er als Kaiser glorifiziert – erinnert sei nur an die ‚Allegorie auf Karl V. als Weltherrscher‘ von Parmigianino57 – und spätestens seit dem Tunisunternehmen von 1535 zum Kriegshelden stilisiert – eine Zuschreibung, die sich mit seinem Wunsch nach kämpferischer Bewährung und kriegerischem Ruhm deckte. In Tizians Augsburger Bildnis ‚mit dem Kommandostab‘ von 1548 konnte Karl V. sich uneingeschränkt erkennen. Sich mit dem ‚burgundischen Ritter‘ von 1530 zu identifizieren, war dem zu Bologna vom Papst gekrönten Kaiser gemäß seinem Selbstverständnis, weltliches Oberhaupt der Christenheit zu sein, nicht mehr möglich58. Seine physische Darstellung repräsentierte nicht das Kaisertum59. Wahrscheinlich aus diesem Grund fand Tizians erstes Bildnis Karls keine wohlwollende Aufnahme60. Seiner burgundischen Sozialisation blieb Karl zwar bis zu seinem Tode verbunden, das Zentrum seiner Herrschaftsverständnisses bildete aber nicht mehr die herzoglich-burgundische Tradition. Nicht das gezogene Schwert, sondern der Kommandostab, auch als Szepter zu begreifen, wurde als Zeichen kaiserlicher Würde gesehen. So reflektierte Tizians Bildnis von 1530 nicht die Konzeption des Kaisertums, die Karl und seine Umgebung bereits vertraten – die Vorstellung von der geheiligten kaiserlichen Majestät. Tizian war in seinem Versuch, sich dem Kaiser zu empfehlen, dem Adressaten nicht gerecht geworden – wahrscheinlich infolge mangelnder Kenntnis über die kaiserliche Herrschaftsauffassung Karls und dessen Wertehorizont.
Das Bildnis von 1530 verschwand wohl sang- und klanglos in der kaiserlichen Bildersammlung – eine These, die nicht ausschließt, daß beispielsweise Agnolo Bronzino (1503-1572) aus persönlicher Kenntnis die Bildfindung Tizians für seine Porträts italienischer Fürsten rezipierte61. Generell aber konnten Zeitgenossen Tizians Kaiserbildnis wahrscheinlich erst über den etwa zehn Jahre später von seinem Mitarbeiter Giovanni Britto gefertigten Holzschnitt62 rezipieren. Später soll das Bildnis des „öfteren kopiert und variiert“ worden sein63. Im Gegensatz zu diesem Porträt ist das Augsburger Bildnis ‚Karl V. mit dem Kommandostab‘ in zahlreichen Kopien während der zweiten Jahrhunderthälfte und darüber hinaus verbreitet worden und hat „in entscheidendem Maße die Vorstellung von der Erscheinung Karls V.“ mitgeprägt64. Es entstand in jenem Jahrzehnt, in dem Intention, Funktion und Rezeption von Bildnissen Karls V. dem Konzept seiner Darstellung als ‚Kaiserliche Majestät‘ folgten, so auch als Kaiser, der sich als siegreicher Heerführer ausgezeichnet hatte – zuletzt 1546/47 im Schmalkaldischen Krieg65.
Zur Gedenkprägung von 1992
Wenden wir uns drittens der Frage zu, welche Aussage soll die österreichische Gedenkmünze Karls V. vermitteln und bestätigt sich der Image-Verdacht?
Die Analyse der vorgetragenen Fakten zur Entstehung der Gedenkmünze mit dem Bildnis Karls V. und dessen offiziöse Deutung durch die Münze Österreich lassen interpretativ folgende Schlüsse zu:
- Münzbildschöpfer und Verantwortungsträger der Münze Österreich kannten weder die einschlägige Literatur zur Ikonographie des Kaisers noch zogen sie die Wiener Sammlungen heran.
- Für die Aufnahme Karls V. in die Millenium-Serie sprach gemäß der Sicht österreichischer Geschichte durch die Münze Östereich66, daß das Haus Habsburg unter seiner Herrschaft einen der Höhepunkte seiner europäischen Machtstellung erlebte. Insofern entspricht die gegenwärtige geschichtsbezogene Funktion des Münzbildes der Intention bei der Bildfindung, ein Wandel läßt sich nicht analysieren..
- Der Bildschöpfer und Graveur wählte den Stich aus einer – im guten Sinne – populärwissenschaftlichen Monographie. Indem er von der nicht weiter verorteten Abbildung in einem Taschenbuch ausging, blieben ihm die Entstehungsgeschichte des Stichs von Vorsterman ebenso unbekannt wie die Zusammenhänge zwischen Rubens apotheotischer Sicht des Kaisers und seinem Produktionsinteresse, versuchte er auch nicht, das Bild vom Kaiser zu dessen Lebzeiten oder zu Beginn des 17. Jahrhunderts zu reflektieren. Der Schöpfer nahm diesen Stich zur Vorlage, weil ihm offenbar ein Vorstellungsbild eignet, das durch leichte Veränderungen zum Ausdruck jenes Image Karls V. abgewandelt werden konnte, das Bildschöpfer und Münze Österreich vom Kaiser im politisch-ideologischen Kontext der 1000-Jahrfeier zu vermitteln anstreben.
- Ohne politisch-ideologische Interpretation erblickt der gegenwärtige Bildbetrachter in dem Münzbild einen ritterlichen, kampfbereiten, jedoch nicht kriegerisch, sondern nachdenklich erscheinenden älteren Mann, der Würde und Verantwortungsbewußtsein ausstrahlt.
- Für das Münzmotiv wurde Karl V. anstelle des gezogenen Schwertes eine Landkarte in die rechte Hand gegeben, ihm das Schwert jedoch nicht entzogen, sondern er damit verfügungsbereit umgürtet. Mit diesen Veränderungen schuf der Graveur sogenannte „Fakten“67, die zur Entscheidung der Münze Österreich für seinen Entwurf führten. Die Fakten sind:
„a) Die Landkarte in der Hand Kaiser Karls V. ist ein Symbol für sein Weltreich, ‚in dem die Sonne nicht unterging‘.
- b) Die Prunkrüstung steht für die kaiserliche Macht und Staatsgewalt, aber ist auch Zeichen für zahlreiche Fehden, die Karl V. zur Verteidigung der europäischen Einheit und des christlichen Abendlandes austragen mußte.
- c) Sein Leitspruch ‚Plus ultra‘ steht für den maximalen Leistungsanspruch Karls V. an sich und seine Umwelt…
- e) Die Avers-Seite symbolisiert die Teilung des Reiches nach Karls Abdankung…“
Karl V. ist mit dieser Münzbilddeutung ein Image zugeschrieben, das für die Münze Österreich als Begründung und zugleich Rechtfertigung dient, den Kaiser unter ihrem Münzmotto „Wir prägen Österreich“ zu den „Größen der 1000 jährigen Geschichte“ Österreichs zu zählen68. Er wird zu einem ‚Ahnherrn Österreichs‘ stilisiert, während sich der eigentliche Begründer des neuzeitlichen Österreichs, Ferdinand I., die Avers-Seite mit seinem Vetter Philipp II. teilen muß. Das ist Ausdruck einer politisch-ideologischen Sicht, denn historisch war der Kaiser eben so wenig ‚Ahnherr Österreichs‘ wie er als ‚Ahnherr Europas‘ beansprucht werden kann69. Dagegen läßt sich aus historischer Sicht die Avers-Seite als Verbildlichung der Folgen jener Teilung des habsburgischen Erbes ihres Großvaters Maximilian zwischen den Brüdern Karl und Ferdinand interpretieren, die auf der Grundlage der Verträge von Worms und Brüssel (1521/22) Ferdinand zum österreichischen Landesherrn und – wenn man ihn sucht – zu einem Ahnherrn der österreichischen Habsburger werden ließ. Spätestens seit der Kaiser um 1550/51 mit seinem Plan, sein Weltreich durch Alternieren des Kaisertums mit wechselseitiger Vertretung im Königtum zu erhalten und damit auch eine besondere Form der Einheit des Hauses Habsburg zu sichern, am Widerstand der selbstbewußten österreichischen Linie gescheitert war, war die Teilung der beiden Linien ein unumkehrbarer historischer Sachverhalt. Durch seine Abdankung teilte der Kaiser nicht das Römisch-Deutsche Reich und erst recht nicht das Gesamthaus Habsburg in nunmehr zwei Häuser, sondern ging nur die Kaiserwürde auf den reichsrechtlich vorgesehenen Nachfolger Ferdinand über, im Reich verfassungsrechtlich ‚deutscher‘ König seit 1531.
Alle Ahnherrn-Thesen sind historisch falsch, so auch, wenn die europäische von Spanien über jenen Karlspreis für Verdienste um Europa rezipiert worden ist, mit dem König Juan Carlos I. als ersten Preisträger den ehemaligen Präsidenten der Europäischen Kommission Jacques Delors ausgezeichnet hat. Das Image europäischer Ahnherrschaft wird Karl V. ebenfalls im Bild der Gedenkprägung zugeschrieben – die ‚Verteidigung der europäischen Einheit‘. Zusätzlich klingt mit dem Begriff des ‚christlichen Abendlandes‘ jene mythisch-religiös-politische Konzeption an, die konservative politisch-ideologische Leitvorstellungen der restaurativen Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg im Zeichen des Ost-West-Gegensatzes beinhaltet. Karl V. wird also insgesamt ein Image zugeschrieben, das sich weder mit dem Vorbild des Münzbildes und dessen Vorbildern deckt noch heutigen geschichtswissenschaftlichen Erkenntnissen und Thesen zur Biographie des Kaisers entspricht, sondern sich als gegenwartsbezogenem Interesse verpflichtet erweist.
Zusammenfassung
Abschließend läßt sich folgende Aussage formulieren:
Tizian schuf 1530 ein Bildnis Karls V., das den Erwartungen des Kaisers von einem Porträt nicht entsprach und einer historisch relevanten Rezeption zu Lebzeiten des Dargestellten entzogen wurde. Seine Kopie im Holzschnitt von Britto führte zu keinem nachweisbaren Diskurs. Ebenso finden sich keine Hinweise, daß Tizians Werk zu Lebzeiten Philipps II. in Madrid folgewirksam rezipiert wurde. Den Weg zu Nachfolgebildnissen bahnte offenkundig erst Rubens mit seiner Kopie, die ihren zentralen Wirkungsraum in der geistigen Auseinandersetzung des Künstlers mit dem historischen Kaiser gemäß der apotheotischen Deutung seiner Person und ihres Wirkens durch Spanier fand. Seinem burgundischen Geschichtsverständnis gemäß strebte Rubens an, das mit verklärend verherrlichenden Zügen angereicherte Bild Karls V. für den politischen Alltag seiner Heimat fruchtbar werden zu lassen. Diesem Zweck diente die Vorlage für den Porträtstich Vorstermans, in der er dem Kaiser in einer neuen Bildfindung – vornehmlich durch die Kombination seiner Kopien des Tizianbildnisses von 1530 mit Elementen aus seiner Kopie eines Tizianbildes von 1548 – als vorbildhaften Herzog der burgundischen Niederlande deutete.
Offenbar brachten Rubens‘ Zeitgenossen diesem Kaiserbild wenig Rezeptionsinteresse entgegen. Wahrscheinlich erst das Bestreben, bei biographischer Beschäftigung mit Karl V. oder in Darstellungen seines Zeitalters das gedruckte Wort durch Illustrationen zu beleben, veranlaßte Verlage mehr als ihre Autoren auf Bilder zurückzugreifen. Meist geschah es ohne vorausgegangene quellenkritische Prüfung des jeweiligen Materials. So konnte der Kupferstich von 1617/18 als zeitgenössisches Bildnis herangezogen werden – bei Nette dementsprechend ohne Legende. Tizians Bildfindung des ‚burgundischen Ritters‘ wurde durch Rubens zu Beginn des 17. Jahrhunderts in seiner Stichvorlage für Vorsterman zum situationsbedingten Bildnis eines verantwortungsbewußten Herzogs von Burgund gewandelt. Es ging mittels neuer Veränderungen in das Bild des Kaisers als großem Österreicher und Ahnherrn der heutigen Republik ein – ein zugeschriebenes Image, das eine Persönlichkeit nicht im Kontext einer vergangenen historischen Wirklichkeit interpretiert, sondern gegenwartsbezogen deutet. Über die verantwortbare Zulässigkeit eines solchen Verfahrens ist hier nicht zu diskutieren70.
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