Kriegsheld oder Friedensfürst?
Eine Studie zum Bildprogramm
des Palastes Karls V.
in der Alhambra zu Granada
Gemeinsam sind Horst Rabe und mir nicht nur das Interesse an dem Zeitalter, das als Rahmenthema für diese Festschrift vorgegeben ist, sondern auch die intensivere Beschäftigung mit einer der Persönlichkeiten, die zur historischen Bedeutung der Epoche beigetragen haben – Kaiser Karl V. Wir haben uns bemüht, ihn nicht nur aus dem Blickwinkel deutscher Geschichte zu erfassen, sondern ihn auch aus seiner Einbindung in die spanischen Reiche zu erklären, zu verstehen und zu deuten1. Wie Horst Rabe seinen Zugang zum Enkel Maximilians I. und des spanischen Katholischen Königspaars fand, ist mir nicht bekannt. Der eigene Weg erweist sich als ein Beispiel für den Wandel eines historischen Interesses im Banne von Zeit und Forschung, persönlichen Lebensbezügen und gesellschaftlichem Umfeld, so daß mit dessen Reflexion mein Beitrag eingeleitet wird. Die Betrachtung ( I ) soll aufzeigen, in welchem Maße sich die erkenntnisleitende Fragestellung an ein geschichtswissenschaftliches Forschungsfeld im Laufe eines beruflichen Lebens als Historiker verändert. Ein knapper Abriß der Baugeschichte des Palastes Karls V. in der Alhambra zu Granada im Kontext zentraler Fragen an ihren Bauherrn schließt sich an ( II ). Sein Bauschmuck steht im Zentrum der Problemstellung ( III ), die mit einer Deutung im Rahmen einer historischen Reflexion abgeschlossen wird ( IV ).
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bibliografischer Hinweis – svz 76
Rainer Wohlfeil: Kriegsheld oder Friedensfürst?
Eine Studie zum Bildprogramm des Palastes Karls V. in der Alhambra zu Granada
in: Recht und Reich im Zeitalter der Reformation. Festschrift für Horst Rabe, unter Mitarbeit von Bettina Braun und Heide Stratenwerth, hg. von Christine Roll, Frankfurt am Main 1996, 2.überarbeitete Auflage 1997, S. 57-96
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I
Nach einer landes- und militärgeschichtlich orientierten Dissertation zum 19. Jahrhundert wies 1955 Peter Rassow mir als Stipendiaten des spanischen Consejo Superior de Investigaciones Científicas den Weg zum Zeitalter. Er regte an, in Madrid der Frage nachzuspüren, wie Karl V. und seine Regierung das Problem einer Herrschaft mittels Personalunion technisch bewältigt haben. Im Verlaufe dieser Untersuchung stieß ich 1956 auf Studien von Fritz Walser zur Entwicklung und Organisation der kaiserlichen Kabinettsregierung, vor allem auf eine hinterlassene unkorrigierte Durchschrift einer wahrscheinlich älteren Fassung seiner ungedruckten, im Original verlorengegangenen Göttinger Habilitationsschrift von 1934. Das Werk eines aus dem Zweiten Weltkrieg nicht heimgekehrten Kollegen zur Veröffentlichung zu bringen, betrachtete Percy Ernst Schramm als eine Ehrenpflicht von Universität und Akademie der Wissenschaften in Göttingen – eine Aufgabe, die ich 1956 übernahm. In die von mir bearbeitete Abhandlung fügte ich nicht nur die Ergebnisse der eigenen Studie zur Personalunion ein, sondern plante sogar, die Arbeit weiterzuführen2. Dazu kam es nicht, obgleich neben meinem auch gegenwartsbezogenen Interesse an Karl V. meine Neigung, mich mit seiner Geschichte weiterhin zu befassen, inzwischen einen starken, bis heute wirkenden Schub von unerwarteter Seite erfahren hatte. Gegenwartsbezogen hieß damals im Zusammenhang mit der von einer noch lebendigen Europa-Euphorie getragenen Idee, ein geeintes Europa zu schaffen, zu prüfen, inwieweit Karl V. als einer ihrer Ahnherrn angesehen werden könne3, heißt heute, ein Zeugnis ‚kaiserlicher Architektur‘ zu befragen, welche Vorstellungen mit dessen ikonographischem Programm, besonders mit zwei nach 1547 auf den inneren, d. h. den zentralen Portalpostamenten des Haupteinganges der dreitorigen Westfassade4 einer kastilischen Residenz Karls V. entstandenen Halbreliefs aus Marmor mit inhaltlich identischem allegorischen Bildgehalt verbunden waren.
Eine Andalusienreise im Frühjahr 1956 führte in der Alhambra von Granada zu einer ersten Begegnung mit jenem Palast Karls V. Die nasridischen Bauten waren mir in ihrer Schönheit als bewunderswerte Zeugnisse einer fremden Kultur erschienen, eine überwältigende Faszination übte jedoch jener Renaissancebau auf mich aus, den die Mehrheit der damals wenigen Besucher zumindest als Fremdkörper, wenn nicht gar als störenden ‚Klotz‘ bis hin zu einem Ausdruck kultureller Barbarei in der überwiegend maurisch bestimmten Architektur beurteilten und ihn so bis heute mehrheitlich zur Kenntnis nehmen5. Dagegen sah ich mich sofort mit einer – meiner ersten Einschätzung nach – architektonischen Verkörperung des Selbstbewußtseins dieses Herrschers und seiner ‚Kaiseridee‘6 konfrontiert. Das Bauwerk ließ den Wunsch aufkeimen, mich geschichtswissenschaftlich mit einem solchen Dokument einer vergangenen historischen Wirklichkeit zu befassen. Noch hatte der Palast keine voll überzeugende wissenschaftliche Bearbeitung erfahren, vor allem auch nicht sein bildhauerischer Schmuck. Befragungen vor Ort nach dem Thema der zwei mich seinerzeit besonders interessierenden Reliefs auf den äußeren Portalpostamenten der Westfassade ergaben nur unklare Aussagen wie ‚Szenen aus dem Tunisfeldzug von 1535‘ oder ‚die Schlacht bei Pavia 1525‘7. Sie und andere kriegsbezogene Halbreliefs auf ihren historischen Gehalt hin zu analysieren und im Kontext des gesamten ikonographischen Programms zu deuten, schwebte mir damals als Forschungsaufgabe vor – ein Untersuchungsfeld, das vornehmlich unter militärgeschichtlicher Fragestellung8 beackert werden sollte.
Mich dieser Aufgabe zu widmen, gestattete mir nicht einmal die Tätigkeit am Militärgeschichtlichen Forschungsamt von 1957 bis 19709, geschweige denn mein Pflichtenkreis an der Hamburger Universität. Spanische Geschichte mußte an den Rand gedrückt werden. In den Mittelpunkt der Arbeit trat seit 1971 die mir sowohl wissenschaftlich als auch politisch notwendig erscheinende Auseinandersetzung mit der marxistisch-leninistischen Geschichtswissenschaft der damaligen DDR über das Zeitalter der Reformation mit einem Schwerpunkt in der Diskussion ihrer These von einer deutschen frühbürgerlichen Revolution10. Dieser Meinungsaustausch verlor an aktueller Bedeutung mit dem Ausklang des Luthergedenkjahres 1983, jedoch sehe ich noch heute in jener These ein Erklärungsmodell, von dessen Erörterung für die Reformationsgeschichte wissenschaftlich ebenso Impulse ausgegangen sind wie offenbar auch politische Wirkungen von meiner grundsätzlichen Gesprächsbereitschaft11. Wissenschaftlich erachtete ich nunmehr als wichtiger, den Möglichkeiten einer Nutzung von Bildern als geschichtswissenschaftlichen Quellen nachzugehen12. Als Einstieg ergab sich im Kontext der Herausgebervorstellungen einer Festschrift für Günther Franz noch einmal eine militärgeschichtlich orientierte Studie zum Landsknechtstum13. Als die Geschichtswissenschaft der DDR im Zusammenhang mit der Nachrüstungsproblematik ihren Beitrag zur Friedensdebatte erbringen mußte, bot die Historische Bildkunde 1986 auf einem internationalen Kolloquium zu Leipzig einen Ansatz, in wissenschaftlicher Form das im damals anderen Deutschland suspekte Motiv der Waffenvernichtung durch Umschmieden gemäß Jesaias 2,4 zur Diskussion zu stellen14. Seine Thematisierung mündete ein in die generelle Frage, welche Friedensvorstellungen in vergangenen historischen Wirklichkeiten sich aus ihren Bildern erschließen lassen. Antwerpen und Venedig in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zeigen auf, welche unterschiedlichen Gehalte mit dem Friedensbegriff verbunden waren15. Die Untersuchung über Antwerpen führte zugleich zur spanischen Geschichte zurück, die Entbindung von akademischen Pflichten ermöglichte zudem, ursprüngliche Forschungsvorhaben zu reaktivieren – beispielsweise das Interesse am Palast Karls V. Eine Bestandsaufnahme der neueren Literatur ergab jedoch, daß sich mit dem Bauwerk inzwischen mehrere Autoren befaßt hatten16, besonders aber von Earl E. Rosenthal eine beeindruckende kunstgeschichtliche Studie vorgelegt worden ist, die sowohl von ihren Untersuchungen zum Ganzen wie zu Details als auch mit ihrer Einordnung des Bauwerks in übergeordnete Zusammenhänge als Standardwerk bewertet werden darf17. Als weitere wichtige Untersuchung ist die Studie von Fernando Checa Cremades über das zeitgenössische ‚Bild‘ von Karl V. als ‚Held‘ zu benennen18.
Unbeschadet dieser neuen Forschungslage soll das ikonographische Programm untersucht werden unter der leitenden Fragestellung, welche Bedeutung hat die Allegorie an der Westfassade und welche Aussage eignet ihr? Nicht mehr den zwei Halbreliefs an den äußeren, sondern den an den inneren, und das heißt an den Hauptportalpostamenten, gilt mein zentrales Interesse. Um sie zu interpretieren, wird nicht nur der Bildschmuck des Palastes befragt werden, sondern auch der des unmittelbares Umfeldes – der ‚Puerta de las Granadas‘, des Zugangstores aus der Stadt zur Alhambra, und des ‚Pilar de Carlos V‘, einer Brunnenanlage19.
II
Das monumentale Bauwerk aus Sandstein, dem an seiner Westfront ein von einer 3.60 Meter hohen Säulenarkade umschlossener Vorplatz von 70 auf 42 Meter Ausmaß vorangesetzt werden sollte20, entstand seit dem Frühjahr 1533; gearbeitet wurde mit Unterbrechungen bis 1637, dennoch blieb es bis 1923 unvollendet21 – vor allem ohne Bedachung22. Erst im letzten halben Jahrhundert wurde es gedeckt und restauriert23. Trotz dieser langen Bauzeit erscheint der zweigeschossige Palast mit seinen geometrischen Formen – quadratischer Grundriß von 63 Metern Seitenlänge und 17 Metern Höhe mit Eingängen an jeder Front, runder Innenhof von etwa 42 Metern Durchmesser mit zwei ringförmigen Umgängen hinter einer dorischen bzw. ionischen Säulenreihe24 – unbeschadet von einer für die oktogonale Kapelle25 abgeschrägten Ecke im Nordosten als ein geschlossenes, harmonisches Bauwerk26. Dieser Eindruck wird stark bestimmt durch die helle Einfarbigkeit eines Baukörpers, dessen Außenfassaden im Untergeschoß aus Bossenwerk mit kissenförmigen, mit dem Stichel bearbeiteten Quadern (almohadillado), Pilastern im dorisch-toskanischen Stil und von Okuli überhöhten rechteckigen Fenstern bestehen. Das Obergeschoß ist in seinen Pilastern dem ionischen Stil verpflichtet. West- und Südportal sind teilweise aus Marmor, erweisen sich aber infolge der Gesteinsfarbe sowie von Witterungs- und Umwelteinflüssen auf den gesamten Bau gegenwärtig nicht als störende Fremdkörper. Unvollendet blieb der Palast auch hinsichtlich seiner Dekoration, vor allem im Innenbau, und es ist unbekannt, welche sicherlich ikonographisch reiche Innenausstattung für die Residenz und den Wohnsitz eines Kaiserpaares vorgesehen war. Daß im Verhältnis zwischen Architektur und Ausgestaltung der Räume der Innenausstattung häufig eine höhere Bedeutung als dem Außenbau zugemessen wurde, ist ein vielfach bekannter Sachverhalt 27.
Finanziert wurden die Arbeiten unter Karl V. aus einer erstmals 1534/35 bewilligten Dotation, die bis zu ihrer Unterbrechung infolge des Moriskenaufstandes von 1568 zunächst in Höhe von 8333 1/3 Ducados, ab 1538 dann von 10000 Ducados aus einer jährlichen Abgabe von 80 000 Ducados bestritten wurde, welche die Mauren von Granada als Gegenleistung dafür erbrachten, daß Karl ihnen 1526 gestattet hatte, ihre Sprache beizubehalten, sich in hergebrachten Formen zu kleiden und verschiedene Gebräuche fortzuführen28. Die Geldentwertung29 schränkte den ursprünglichen hohen Haushaltsansatz fortlaufend ein.
Dieser Palast Karls V.30 wurde zuletzt von Ignacio Henares Cuellar in die ‚andalusische Renaissance‘ eingeordnet31. In Spanien gab es bereits Bauten im Stil der Renaissance, weitere entstanden parallel zum Bau auf der Alhambra, aber sie erweisen sich als weitestgehend unbeeinflußt durch den Palast Karls V.32. Ein Grund da -für, daß von ihm keine Anregungen auf Spanien und Europa ausgegangen sind, wird neben der langen Bauzeit darin gelegen haben, daß die Alhambra seit der Einnahme der Stadt (1492) in ihrer Funktion als königliche Festung, als Sitz des Generalkapitäns des Königreiches Granada mit seinen Sicherungsaufgaben gegenüber einer noch erheblichen maurischen Bevölkerung und mit der Verteidigungsvorsorge gegenüber Bedrohungen aus dem islamischen Mittelmeerraum betraut33 sowie als Standort der andalusischen Miliz ‚militärisches Sperrgebiet‘ darstellte34 und daher nicht allgemein zugänglich war. Vielleicht hätte er eine stärkere zeitgenössische Relevanz und Rezeption erfahren, wenn der Kaiser nach 1526 noch ein weiteres Mal auf der Alhambra residiert hätte.
Granada ist – gemäß dem von Philipp III. mit der Geschichtsschreibung Karls V. beauftragten Benediktiner Prudencio de Sandoval – die spanische Stadt gewesen, die Karl V. besonders gut gefallen hat35. Ihre Alhambra lernte der junge Kaiser nach seiner Hochzeit mit Isabel von Portugal bei ihrem ersten und zugleich letzten Besuch 1526 kennen36. Sie als Zeichen des Triumphes über den Islam auf spanischem Boden und zum ewigen Gedenken an dieses Ereignis zu erhalten, hatten seine Großeltern ihren Nachfolgern und auch die Mutter ihrem Sohn auferlegt37 – für Karl V. eine Verpflichtung, die einzuhalten uneingeschränkt seinem Wesen und seinem dynastischen Herrschaftsverständnis als Habsburger entsprach. Für den Kaiser hatte Granada 1526 jene Funktion, die danach unter Philipp II. dem El Escorial zukam – hier war die Familiengruft der Dynastie38: In der Capilla Real an der Kathedrale befand sich die Grabstätte seiner spanischen Großeltern; in sie auch die sterblichen Überreste seines Vaters Philipp aus Tordesillas zu überführen, ordnete Karl 1525 an39. 1526 bestimmte Karl, den Altarraum der Kathedrale als kaiserliches Mausoleum für sich und seine Familie zu gestalten und trug damit entscheidend zu ihrem Weiterbau im Renaissancestil bei40. In Granada wurde 1539 die in Toledo verstorbene Kaiserin Isabel beigesetzt, 1546 ließ Karl dorthin seine früh verschiedenen Söhne Juan und Fernando sowie seine Schwiegertochter Maria, erste Frau seines Sohnes Philipp, überführen41. Später fand seine Mutter Juana hier ihre letzte Ruhestätte. Der Kaiser selbst hielt bis zu seinem Kodizill von 1558 an seiner testamentarischen Bestimmung fest, in Granada beigesetzt zu werden42. Damit ist die hohe dynastische Bedeutung dieser Stadt für den Kaiser dokumentiert. Ihr stand entgegen, daß der Palast der Nasriden wenig geeignet erschien, als kaiserliche Unterkunft zu dienen; besonders Isabel und der Hofstaat konnten sich 1526 nicht mit ihm anfreunden43. Für künftige kaiserliche Aufenthalte wurden daher zwischen 1528 und 1533 zunächst am Nordteil des nasridischen Palastes durch den kastilischen Baumeister Luis de Vega die Gemächer Karls V. – ein Anbau mit sechs Räumen – errichtet, damals als ‚quartos nuevos‘ bezeichnet44. Erwogen wurde zugleich der Plan – wahrscheinlich schon seit 1526 -, neben dem alten einen neuen Palast zu erbauen.
Da zu keiner Zeit beabsichtigt war, Granada zum Zentrum des Gesamtreiches zu erheben45, stellt sich die Frage, aus welchem Grunde ein Palast derartigen Ausmaßes erbaut werden sollte und welche politische Bedeutung und Funktion mit ihm verbunden wurden. Unter den Voraussetzungen einer Herrschaft über zahlreiche Länder Europas mittels Personalunion – besonders auch im Verhältnis zu den spanischen Reichen – konnte eine dauerhafte kastilische Residenz ebenfalls nicht beabsichtigt sein. Für zeitlich begrenzte Aufenthalte eines noch unabdingbaren Reisekönigtums hätten die neuen Wohnräume im alten maurischen Palast ausgereicht. Grund, Bedeutung und Funktion ergaben sich daher aus einer programmatischen Zielsetzung. Zu ihrer Erklärung liegen als am weitesten gefaßte Interpretationen die offenbar unabhängig voneinander entwickelten Thesen von Santiago Sebastián und Burchard Brentjes vor. Sebastián46 erklärt die Verwendung der geometrischen Figuren des Kreises und des Quadrates als kosmisch deutbare Ausdrucksmittel, mit deren Verwendung der Palast Karls Herrschaft als Kaiser des Westens verbildlichen sollte. Noch einen Schritt weiter geht Brentjes47. Er deutet unter Berufung auf historische Vorgängerbauten und ihren ideologischen Hintergrund die Grundformen des Bauwerkes ( Quadrat, Kreis, Oktogon) als symbolisch interpretierbare Figuren, mit denen der weltlich begründete und göttlich sanktionierte Weltherrschaftsanspruch Karls V. augenfällig angemeldet worden sei. Unbeschadet dieser theoriebezogenen, universalmonarchisch orientierten Erklärungsmodelle ist den historischen Bedeutungs- und Funktionszuschreibungen durch Rosenthal48 und Checa Cremades49 ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad zuzusprechen. Nicht nur im Verständnis traditioneller Erinnerungsmale an ein glorreiches Geschehen sei der Palast begründet und konzipiert worden50, sondern vor allem in der Absicht, den weiterhin islamische Angriffe befürchtenden Spaniern in Andalusien das Versprechen zu vermitteln, daß der Süden der Iberischen Halbinsel gegen maurisch-türkische Angriffe verteidigt werden würde51. Die Bedeutung dieses Sicherheitsbedürfnisses kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Darüber hinaus sollte der Palast die kaiserliche Kampfbereitschaft auch den christlichen Mittelmeerländern und jenen Regionen des Heiligen Römischen Reiches vermitteln, die von den osmanischen Türken bedroht wurden. Der Palast im äußersten Süden seines Gesamtreiches konnte allen Europäern ihre Ängste vor der Bedrohung aus dem islamischen Raum nehmen. Zugleich konnte der Palast aber auch als ein ‚kaiserliches Signal‘ gegenüber Frankreich verstanden werden: Sein Baustil ließ einerseits zu, Karl V. mit den römischen Kaisern zu vergleichen52; andererseits verwies der Palast in seiner geometrischen Formgebung in Übereinstimmung mit der Architekturtheorie der Renaissance nicht nur auf die Kaiseridee, sondern auch auf die Einzigartigkeit des Kaisers im Kreise der europäischen Herrscher, nicht zuletzt durch die über die geometrische Form des Kreises vermittelte Einbindung in den sakralen Bereich. Insgesamt symbolisierte das Bauvorhaben die Fähigkeit Karls V., das Wesentliche zu erfassen und alles vernünftig zu ordnen. Zudem erschien er als ein Herrscher, der über immense Haushaltsmittel verfügte, denn daß ein so gewaltiges Bauvorhaben sehr teuer sein würde, war den Zeitgenossen bewußt53.
Auf die Planung und Überlegungen zur baulichen Gestaltung des neuen Palastes scheint der Kaiser kaum Einfluß genommen zu haben54. Generell begann sich Karl V. mit Fragen, die „unmittelbare Einwirkungen auf die seiner Person geltende Werbung“ betrafen55, offenbar erst seit seinem vierten Lebensjahrzehnt direkt zu beschäftigen, mit dem Medium ‚Kunst‘ seit seinem ersten Italienaufenthalt56; seither wirkte er sogar bei Entscheidungen mit. Aber mit Kunst einschließlich Architektur befaßte er sich vornehmlich aus praktischen und propagandistischen Erwägungen, weniger unter ästhetischen Gesichtspunkten. Im Falle von Granada schwand sein Interesse nach 1550; Karl überließ die Verantwortung für die Weiterführung des Baues seinem Sohn, für den der Palast nur die Bedeutung einer kostspieligen und zugleich räumlich abgelegenen Residenz neben anderen Bauten besaß57.
Während seine spanischen Großeltern in einer Zeit ersten Eindringens italienischer Anregungen noch den spätgotisch-isabellinischen Baustil bevorzugt hatten58, überließ Karl die Bestimmung des jeweiligen Baumeisters und die Durchführung eines Projektes meist den lokalen Baubehörden59; berücksichtigt werden mußte jedoch, daß seine politische Autorität bildlich sichtbar werden sollte. Hierfür erschienen nicht die Formen jener flämischen Kunst geeignet, in der er aufgewachsen war, sondern die der Renaissance60. So übertrug der Kaiser in Granada die architektonische Demonstration seines Herrschaftsverständnisses dem Burgvogt bzw. Gouverneur der Alhambra und zeitweiliger Generalkapitän des Königreiches Granada, Luis Hurtado de Mendoza, Marqués de Mondéjar und Graf von Tendilla (1515 – 1543)61. Ihm, einem Sproß der dem Humanismus seit langem zutiefst verbundenen Familie der Mendoza, wird eine zentrale Bedeutung hinsichtlich der Konzeption des Palastes zugeschrieben: Hurtado de Mendoza gilt als der ‚Vater‘ des geistigen Entwurfs, dessen Grundlage seine Auffassung war, Karl sei Nachfolger der Kaiser des antiken römischen Weltreiches62. Dieser Idee gemäß sollte der Bau gestaltet werden, nicht zuletzt wohl in der Absicht, Kastilien-Spanien eine neue Identität zu vermitteln. Unter dem maßgeblichen Einfluß von Luis Hurtado wurde Pedro Machuca mit der Aufgabe des Architekten (1528-1550) betraut63 – ein Kastilier aus Toledo, der um 1519/20 aus Italien heimgekehrt war. Beiden Männern waren der ‚universale‘ Stil des ‚Alten Rom‘ und die Gedankenwelt der Renaissance so vertraut, daß sie sich damit voll identifizierten64. Die Bauleitung hatte Machuca bis zu seinem Tode unter fortwährender Abhängigkeit von zwei aufeinanderfolgenden Gouverneuren aus dem Hause Mendoza inne; ihm folgte sein Sohn Luis Machuca (1550 – 1571)65; später übernahm u.a. Juan de Minjares (1583 – 1599)66 diese Aufgabe67.
Die Vorstellungen des Marqués de Mondéjar und Machucas entsprachen jener kaiserlichen Herrscheridee, die Karl V. und einen Teil der Mitglieder seiner ihm vertrauten ständigen Umgebung, an ihrer Spitze der Großkanzler Gattinara, jedoch keineswegs alle seine Berater beseelte68. An der Diskussion um die Konzeption für die Gestaltung des Palastes waren außerdem kastilische Baumeister, vor allem Luis de Vega, gefördert durch Francisco de los Cobos69, den späteren Staatssekretär Karls V., aber auch weitere, vor allem humanistisch gebildete Angehörige der kaiserlichen Regierung im weiteren Sinne und der kastilischen Verwaltung beteiligt70. Entsprechend kontrovers dürften die grundsätzlichen Überlegungen gewesen sein. 1527 begann die aktive Planung. Eine unmittelbare Mitwirkung Karls ist während dieses Stadiums nur in zwei Einzelheiten nachweisbar: Neben einem großen Audienzsaal war ihm eine doppelgeschossige Kapelle wichtig, deren oberes Stockwerk der kaiserlichen Familie die isolierte Teilnahme am Gottesdienst gestattete71. Später hat der Kaiser mindestens zweimal in die Gestaltung des Baues eingegriffen (1542, 1548)72. Nach Rosenthal hätte eine reine Verwirklichung der ursprünglichen Konzeption Machucas ein erstes Bauwerk im sog. Herrera-Stil erbracht73.
III
Der Palast Karls V. war nicht nur die einzige offizielle königliche Residenz, deren Bau vor 1540 von Anfang an im Stil der Renaissance begonnen wurde, sondern er ist zugleich in seinem programmatischen Anspruch und in seinen Aussagen zur Herrschaftsauffassung Karls V. ein einzigartiges Dokument politischer Architektur74. Zur Rolle und Bedeutung politischer Architektur gehört, daß sie die Erwartungen jener aufgreifen und erfüllen muß, an die als Zielgruppe sich diese Form der Herrschaftsvermittlung und -legitimierung richtet. Adressaten für die politischen Aussagen waren vor allem und zugleich unmittelbar die höfische Gesellschaft und die Besucher des Hofes, die Gesandten anderer Fürsten und Staaten ebenso wie die Vertreter von Institutionen aus den Herrschaftsgebieten des Kaisers, die Untertanen dagegen nur mittelbar.
Der Palast ist das beste zeitgenössische Zeugnis in Spanien, wie sich über architektonische Formen kaiserliche Macht repräsentieren ließ75. So eignete besonders Säulen ein hoher sinnbildhafter Wert76. Die Säulenordnungen der Außenfronten und des Innenhofes77 verbildlichten Würde, Stärke und Tapferkeit, konnten besonders über die dorischen Säulen den Bauherrn mit Jupiter, Mars und Herkules identifizieren, brachten ihn auch in Verbindung zu den Cäsaren des alten Roms. Zugleich strahlte das Bossenwerk die Vorstellung von Kraft und Uneinnehmbarkeit, aber auch von Autorität aus. Diese Symbolik war den Angehörigen der politischen und geistigen Führungseliten im Umfeld des Kaisers geläufig78. Inwieweit die Bauplanung vor Baubeginn bereits ein entsprechendes ikonographisches Programm für den Bauschmuck eingeschlossen hatte, bleibt offen. Ob von seiten Luis Hurtados und Pedro Machucas jemals ein geschlossener Plan konzipiert wurde, ist unbekannt. Machuca hatte offenbar nur ein der Architektur eingepaßtes schlichtes ornamentales Dekor einzubringen begonnen; der am Bau überlieferte Schmuck wurde vor allem von dem lombardischen Bildhauer Niccolò da Corte (+ 1552)79 in Übereinstimmung mit Ínigo López de Mendoza als neuem Gouverneur der Alhambra (1543 – 1580)80 konzipiert, von Niccolò da Corte, von Machucas Schwiegersohn Juan de Orea (+ 1580) und von dem nur durch seine Werke zur Mitte des Jahrhunderts auf der Alhambra bekannten Flamen Antonio de Leval erarbeitet81. Spätere Bildwerke stammen u.a. von Andrés de Ocampo82. Überkommen sind im Innenbau nur Nischen, vorgesehen wahrscheinlich für Skulpturen, und Freiräume für Medaillons usw., am Außenbau die Schmuckelemente an der Südfassade und an den Portalen der westlichen Palastfront sowie am ‚Pilar de Carlos V‘. Nach Rosenthal entstanden die Bildwerke mehr als Produkte der jeweiligen politischen Lage denn auf der Grundlage eines geschlossenen ikonographischen Programms. Auch stehe ihre Mehrzahl nur in einem mittelbaren Zusammenhang mit Karl V.; unmittelbar auf ihn bezogen seien allein das Säulenemblem, das Sinnbild des Ordens vom Goldenen Vlies und die Schlachtdarstellungen83. Um diese Aussage zu überprüfen, bedarf es einer Beschreibung des Bauschmuckes in gebotener Kürze.
Während drei Leuchterhalter abhanden gekommen sind, die sich bis zum 18. Jahrhundert an den drei Ecken des Palastes befanden84, schmücken das Erdgeschoß seiner West-, Süd- und Ostfront Ringe aus Bronze mit einem Durchmesser von mehr als vierzig Zentimetern, gehalten durch den Schnabel eines Adlers oder von dem Rachen eines Löwen, von denen einige bereits 1542 an der Südfront angebracht wurden85. Insgesamt sollen sich 53 Ringe am Bau befunden haben, nur 18 waren noch im 19. Jahrhundert erhalten; restauriert und ergänzt durch Neuanfertigungen86 befinden sich gegenwärtig zehn Adler- und dreißig Löwenringe am Gebäude. Die von Adlerschnäbeln gehaltenen Metallringe gehen am unteren Ende in einen bärtigen Kopf mit Flügeln über. Die Ringe im Maul von Löwen setzen sich jeweils aus zwei halbrund gebogenen ionischen Säulen zusammen, jede von einem Band mit der Inschrift PLVS OVLTR bzw. LTRS OVPLV umschlungen87. Sowohl über das Säulenemblem als auch über die Devise in ihrer originalen französischsprachigen Version ‚Plus Oultre‘ ist ein unmittelbarer Bezug zum kaiserlichen Bauherrn gegeben88.
Diesen unmittelbaren, vielleicht von Karl V. selbst veranlaßten89 Bezug vermitteln im Ober- bzw. Hauptgeschoß der drei Gebäudefronten auch zweiundvierzig Sinnbilder aus Sandstein in den Halbreliefs der Postamente, auf denen viereckige Pilaster ruhen90. Jeweils einundzwanzig der sich abwechselnden Bildwerke weisen zwei Säulen mit ionisch-klassischen Kapitellen auf, die eine Erdkugel gemäß dem mittelalterlich-christlichen T-O-Schema rahmen91. Auf den Weltkugeln sitzt jeweils ein plastischer einköpfiger Adler mit ausge-breiteten Schwingen – Adler, deren Kopfwendung und Flügelhaltung untereinander teilweise differieren. Die Säulen sind verbunden durch eine Banderole mit der Inschrift PLVS OVLTRE. Im Zentrum der anderen einundzwanzig Halbreliefs durchkreuzen als zentrale Elemente zwei starke Äste in der Form eines Andreaskreuzes das Gesamtfeld, finden sich im kronenförmigen Mittelfeld Feuerstein und Feuerstahl, schwebt oben die kaiserliche Krone über einem aufgebrochenen Granatapfel und sind weitere Granatäpfel mit Blattwerk zu beiden Seiten des Andreaskreuzes eingebracht. Unterhalb des Mittelfeldes findet sich eine Frucht, vereinzelt auch ein hängendes Lamm. Diese Sinnbilder, das persönliche Emblem Karls V. (Säulen des Herkules, Devise) und das herzoglich burgundische Emblem des Ordens vom Goldenen Vlies, präsentieren sich in unge-wöhnlichen Formen. Nicht ein heraldisch-doppelköpfiger kaiserlicher Adler, sondern der Adler als römisches Staatssymbol – Attribut des Iupiter Capitolinus, seit Marius verwendet in Form des Legionsadlers als Feldzeichen der römischen Truppen – umschließt mit seinen Krallen jenen Teil der Weltkugel, der Asien darstellt92. Unter den Erdteil Asien wurden noch die ‚westindischen‘ Entdeckungen subsumiert. In diesem Kontext ist der Zusammenhang zwischen Weltkugel und römischem Adler zu deuten als das Versprechen des Kaisers, den kastilischen Besitzungen in Amerika jenen Schutz zukommen zu lassen, den die ‚pax romana‘ des römischen Weltreiches gewährt hatte, vielleicht sogar als ein Ausdruck kaiserlicher Bereitschaft, die Herrschaftsgebiete in ‚Westindien‘ zu erweitern. Offenkundig bewußt wurde hier das Zeichen der antiken römischen Weltherrschaft und nicht das Machtsymbol des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, der kaiserliche Doppeladler, eingebracht, obgleich dieser schon früh durch Karl V. in Kastilien verwendet worden war93. Weltherrschaft und Kaisertum erscheinen damit als nicht deckungsgleich, die Vorstellung von einer Universalmonarchie deutet sich an, sie aber mit dem römischen Reich zu identifizieren, mußte problematisch sein, weil bekannt war, daß die römischen Kaiser keine „Monarchie des Erdkreises besessen“ hatten94. Das Ordensemblem in seiner dagegen spezifisch sowohl auf das Kaisertum (Krone) wie auf Granada (Granatapfel = Wappen für das Königreich und der Stadt Granada) bezogenen Ausführung verband die Ordenszielsetzung, gegen den Islam bis zur Rückeroberung des Heiligen Landes zu kämpfen, mit der symbolischen Bedeutung Granadas für den Kampf gegen die Mauren. Granada repräsentierte im Emblem den König der spanischen Reiche, der hier zugleich als Kaiser, Herzog von Burgund und Ordensmeister gegenwärtig war und damit seine Möglichkeiten verkündete, alle Kräfte im Kampf gegen den Islam zu bündeln95. Insgesamt vermittelte diese Kombination von römischen, kaiserlichen, burgundischen und kastilisch-spanischen Zeichen auf den Sinnbildern das ideologisch-politische Programm des Kaisers, zu dem sich Karl V. persönlich uneingeschränkt bekannt haben dürfte.
Mit der Außenmauer der Südfront96 hatte unter Machuca der Bau begonnen. Oberhalb ihrer eintorigen Portalfassade aus Marmor97 befindet sich in einem Fries die Inschrift P (LVS) V (LTRA) IMP (ERATOR) CAES (AR) KAR (OLVS) V. P (LVS) V (LTRA), schon 1538 belegt98. Einen derartig unmittelbaren Bezug auf den Bauherrn, allerdings in verkürzter Form99, enthalten auch die nicht repräsentativ, sondern funktional ausgeführten Fassaden der Eingänge an der Ost- und Nordfront. Die Inschrift am Südportal steht in gewisser Weise im Zentrum des Eingangsschmuckes. Das bildnerische Werk dieser Portalfassade, dessen Ausarbeitung mehr als ein Jahrzehnt beanspruchte, wird formiert durch zwei liegende weibliche Figuren oberhalb des Dreieckgiebels – allegorische Verbildlichungen der Victoria mit ihren Attributen (Lorbeerzweig und -kranz, Palmblatt), begleitet von zwei geflügelten Knaben100. Das Tympanon des Türgiebels füllt eine Allegorie der Abundantia aus101, also eine Verbildlichung der Idee des Überflusses, die sich auch in den Girlanden aus Früchten und Blumen ihres Umfeldes und an den Fenstereinrahmungen wiedergegeben findet, hier erweitert abwechselnd über flachem Sims oder Dreiecksgiebel durch Putten mit Blumen, durch Körbe und Vasen, geöffnete Granatäpfel, Jakobsmuschel und Seetiere, aber auch wieder durch Bezüge auf den Orden vom Goldenen Vlies102. Die jeweils zwei kannelierten Säulen mit ionischen Kapitellen zu beiden Seiten der Tür im Erdgeschoß, auf deren Zwischenplatten abermals die kaiserliche Devise in einem runden Medaillon eingebracht ist, ruhen auf je einem Postament mit Halbreliefs an den Innen- und Außenseiten, die ebenso wie die sich jeweils anschließenden zwei weiteren Halbreliefs an der Vorderfront Darstellungen von Panzern und Helmen, Waffen und anderen Kriegsutensilien enthalten103. Oberhalb der Außenreliefs liegt auf beiden Seiten der Außensäulen je einer der zwei zwischen 1564 und 1566 von Leval gearbeiteten Löwen104. Über der Portalfassade umrahmen im Ober- bzw. Hauptgeschoß vier Säulenpostamente einen großen Wanddurchbruch in Form einer Tür mit Seitenfenstern und einem nach oben abschließendem Rundbogen. Ihre Halbreliefs – ausgeführt von Niccolò da Corte – enthalten mythologische Szenen: ‚Neptun (Poseidon) beruhigt das Meer‚105 und die ‚Hochzeit von Neptun und Amphitrite‚106. Die Halbreliefs auf den schmalen Seitenwänden der vorkragenden Postamente verweisen abermals mit dem hängenden Schaf des Ordens vom Goldenen Vlies bzw. den Säulen des Herkules und anderen Elementen auf die kaiserlichen Embleme. Im linken und rechten Feld über dem Rundbogen halten zwei geflügelte menschliche Figuren mit der linken Hand jeweils eine Platte, von denen die rechte Gestalt – auch ein Werk von Niccolò da Corte – ihre Platte zu beschreiben scheint. Die Frauen sind Personifikationen von Fama und Historia107. Die beiden Krüge oder Vasen zu Füßen der Halbfiguren sind bisher nicht eindeutig interpretiert worden108.
An der Westfront109 – die eigentliche Schau- und gemäß Rosenthal Palastseite des Kaisers, während die Südseite den Palastteil der Kaiserin darstellte – ist die in ihrer heutigen Form nicht der ursprünglichen Konzeption Machucas110 entsprechende, aber noch von ihm entworfene und von seinem Sohn Luis ausgeführte marmorne Fassade111 in beiden Stockwerken durch jeweils drei Türen innerhalb einer zweigeschossigen doppelten Pilastergliederung durchbrochen: Im Hauptgeschoß weisen die Fensterausgänge die gleiche Größe auf wie die anderen Fenster; im Erdgeschoß eröffnet ein großes, 5.30 Meter hohes Hauptportal mit beidseitigen Nebeneingängen von etwa halber Größe des mittleren Tores den Zugang zum Palast112. Über den Türen im Hauptgeschoß befinden sich oberhalb ihrer Giebel drei große Medaillons113, deren äußere Halbreliefs links ‚Herkules (Herakles) besiegt den nemeischen Löwen‚ und rechts ‚Herkules fängt den kretischen Stier‚114 zum Thema haben. Das mittlere Medaillon trägt das königliche Wappen Philipps II., das in seiner Komposition eher an das Wappen Karls V. erinnert und dessen Einbindung des portugiesischen ‚escudete‘ im Zentrum des Wappens Rätsel aufgibt115. Dieser Teil der Portalfassade entstand unter der Bauleitung von Juan de Minjares (1583-1599), die Halbreliefs wurden von Andrés de Ocampo ausgeführt116. Die Halbreliefs mit den Herkulesbezügen ordnen sich in das Programm ein, das auf Karl V. ausgerichtet war117. Nach oben schließt das Bauwerk in einem Kranzgesims mit Löwenköpfen ab.
Im Erdgeschoß118 sind die mit je zwei Männerköpfen zwischen delphinhaften Tieren ausgefüllten Dreiecksgiebel der Seitentüren von jeweils zwei Knaben mit Girlanden gekrönt119, über denen je ein großes Medaillon die Wandfläche ausfüllt. In ihren Halbreliefs von 1563, skulptiert durch Antonio de Leval, sprengen jeweils drei Reiterkrieger in Richtung auf das Haupttor, begleitet von einem Bewaffneten zu Fuß und einem springenden Hund – möglicherweise eine Darstellung jenes Reiterverbandes der andalusischen Miliz, der auf der Alhambra stationiert war120. Auf dem Dreiecksgiebel des Hauptportals, ausgefüllt ebenfalls mit delphinhaften Tieren und nur einem Männerkopf in dem Medaillon, ruhen zwei geflügelte Frauen – beide Personifikationen der Victoria121. Die Fassade des Erdgeschosses wird nach oben durch ein Metopen-Fries abgeschlossen. Es enthält abwechselnd Bukranien122 – Halbreliefs von Rinderschädelskeletten – umrahmt von Tänien, Rosetten und Triglyphen. Diese Metopen finden sich auch am östlichen Tor und vor allem im Innenhof als Fries oberhalb der dorischen Säulenreihe123. Bukranien, in der zentralen Bedeutung von Opfer und Ritual im Ornamentenschatz der griechisch-römischen Kultur verwurzelt, schmückten im antiken Rom zur Zeit des Augustus als Symbole einer neuen ‚pietas‘ viele Gebäude und Monumente, auch ein Herkulesheiligtum und die Ara Pacis Augustae124. Als beliebtes Friesornament rezipiert, kann das Bukranion als ein Sinnbild für den durch Pflichtgefühl und Gottesfurcht, Milde und Friedfertigkeit ausgezeichneten Herrscher gedeutet werden, stand auch in einem Bezug zur Herkulesverehrung.
Der Blick des Besuchers umfaßt meist zunächst die gesamte Westfassade, verweilt aber dann – beim Betreten des Palastes – an den 85 zu 198 cm großen Portalpostamenten der drei Türen. Die beiden äußeren sowie die schmaleren Seitenwände enthalten Halbreliefs mit Kriegsszenen125; diese Frontalbildwerke wurden von Rosenthal nach eingehender Analyse überzeugend interpretiert als Darstellungen des Sieges Karls V. über Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen in der Schlacht bei Mühlberg (24. April 1547)126. Welche Bedeutung diesem militärischen Erfolg von den Zeitgenossen zugemessen wurde, offenbaren nicht nur zahlreiche schriftliche und gedruckte Zeugnisse127, sondern auch Verbildlichungen aller Art – verwiesen sei beispielhaft auf das Reiterbildnis Karls V. von Tizian im Prado zu Madrid, die Wandmalereien im ‚Palacio de Cabo de Armería‘ zu Óriz (Navarra) oder jenen Keramikteller mit einer Schilderung des Kampfes beim Elbübergang, der sich in der Ermitage zu St. Petersburg befindet128. Das Programm der beiden Frontalbilder wurde um 1548/49 entworfen. In den lebendig wirkenden zwei Szenen des Kampfes bei Mühlberg ist gemäß Rosenthal im linken Halbrelief der Kaiser vergegenwärtigt. Dieses wurde von Juan de Orea (1550), das rechte von Antonio de Leval (1553) ge- schaffen. Angeregt etwa 1547/48 wahrscheinlich vom Kaiser selbst, wurden die Bildwerke in ihren Grundzügen noch von Pedro Machuca konzipiert129 – nach Rosenthal der Schlüssel zum ikonographischen Programm der Türen130. Sie beeindrucken, ja faszinieren den Betrachter, aber unmittelbar am Hauptportaleingang begegnet er einem völlig anderen Bild in zwei weitgehend übereinstimmenden Ausarbeitungen.
Im Zentrum dieser beiden Halbreliefs131 – das linke als erstes etwa 1551 von Juan de Orea, das rechte von Antonio de Leval ebenfalls um 1551 gearbeitet132 – befindet sich eine mit Meridiankreis und Parallellinien versehene Erdkugel133. Sie enthält auf dem linken Relief eine Darstellung der Kontinente mit der Besonderheit, daß die Säulen des Herkules von der Meerenge bei Gibraltar zu den Erdpolen verlagert sind. Über jeder Erdkugel schwebt eine Kaiserkrone, flankiert in symmetrischer Ordnung zu beiden Seiten von je einer Säule mit ionischem Kapitell. Die Säulen sind unterhalb der Kapitelle verbunden durch eine Banderole mit der kaiserlichen Devise PLV S.OVL TRE als Aufschrift. Die Säulen ruhen auf dem jeweils ihnen zugewandten Oberschenkel von zwei Frauen, die neben den Außenseiten der Säulen offenbar auf Rüstungsteilen sitzen und mit einer Hand den Säulenschaft erfassen. Mit ihrem seitwärts ausgestreckten Arm halten sie in der Hand zwischen Daumen und Zeigefinger einen senkrecht erhobenen, nach innen sich neigenden Olivenzweig. Ihr Haar schmückt ein Lorbeerzweig, ihre faltenreiche lockere Gewandung läßt Busen und Bauchnabel sichtbar werden. Ölzweig und Lorbeer sind Attribute der Pax – Personifikation des Friedens134. Zu beiden Seiten dieser Mittelgruppe zünden in den Ecken des unteren Bildrandes geflügelte Knaben mit jeweils einer Fackel über angehäuften Waffenteilen, wohl Kriegsbeute, das Tuch einer Fahne an, deren Schaft zusammen mit Speeren unterhalb der Sitzstellen der Frauen endet. In den oberen Ecken fliegen geschwind – ihre Haare und Gewänder flattern im Zugwind – zwei Gestalten heran – eher als Fama, römische Personifikation der Kunde135, denn als Victoria zu deuten136, die mit voller Kraft auf leicht S-förmig gebogenen Trompeten blasen. Die trichterförmigen Mündungen dieser mittelalterlichen Businen137 beschallen direkt die Mittelgruppe.
Insgesamt handelt es sich um eine Friedensallegorie. Daß sich in ihrem zentralen Bildteil zwei Frauen befinden, ist bei Friedensallegorien keine Besonderheit. Am häufigsten sind Zusammenordnungen von Iustitia und Pax sowie von Pax und Abundantia138. Meine umfangreiche Materialsammlung zu Friedensallegorien139 weist jedoch kein weiteres Beispiel eines zwillinggleichen Paares auf, dessen jede einzelne Frau Pax verkörpert. Daß Waffen angezündet werden, ist ein Bildgedanke, der sich im Alten Testament findet und dann seit der Renaissance vor allem als motivlicher Rückgriff auf die römische Verbildlichung der Pax Augusta140 verwendet wurde.
Zur Gesamtdeutung dieser Friedensallegorie im Kontext des ikonographischen Programms bedarf es noch eines knappen Blickes auf die ‚Puerta de las Granadas‘ und den ‚Pilar de Carlos V‘. – Erst seit dem 18. Jahrhundert als ‚Puerta‘ bezeichnet, öffnet der im Laufe der Zeit mehrfach veränderte Triumphbogen im Renaissancestil mit drei Durchgängen den Zugang zum Alhambrabezirk von der Stadt her141 und ersetzte damit den ursprünglich zweiten maurischen Zugang durch das Bib-Leuxar142. Erbaut wahrscheinlich zwischen 1545 und 1548 durch Pedro Machuca, zeigt das Tor zur Stadtseite hin143 das kaiserliche Wappen mit einem doppelköpfigen kaiserlichen Adler unter einer Krone mit Mitra, damals flankiert von allegorischen Verbildlichungen der Pax und der Abundantia, geschmückt außerdem mit drei übergroßen, sich öffnenden Granatäpfeln144.
Das kaiserliche Wappen mit heraldischem doppelköpfigen Adler überwölbt auch den Schmuck am ‚Pilar‘. An dieser Brunnenanlage unterhalb der Puerta de la Justicia145, entworfen von Pedro Machuca, in ihrem Bauschmuck wahrscheinlich auf eine Konzeption des neuen Gouverneurs Ínigo López de Mendoza zurückzuführen, wurden die Reliefarbeiten von Niccolò da Corte um 1547 ausgeführt. Zwei Funktionen waren dem Brunnen zugedacht: In erster Linie diente er als Pferdetränke und zweitens stabilisierte er als Gesamtanlage die Eingangsfront zur Puerta de la Justicia146. In seiner Gestaltung ist dieser Brunnen ein eindrucksvolles Bauwerk der Renaissance, das bereits vor dem Betreten des zentralen Palastgeländes kaiserliche Macht und Würde ausstrahlt. Anläßlich eines Besuches der Alhambra durch Philipp IV. wurde ein großer Teil der inzwischen stark beschädigten Sandsteinarbeiten 1624 von Alonso de Mena neu geschaffen, wobei das alte Programm als Vorlage diente. Eine letzte Renovierung fand im siebenten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts statt. Die zentrale Funktion der Wasserabgabe in einen Trog vor einer Wand aus Sandstein von etwa 20 Metern in der Breite und 6.80 Metern in der Höhe, untergliedert durch sechs dorische Pilaster147, gewährleisten als Speier zwei von Putten umarmte Delphine, zwei nackte Knaben mit Schneckengehäusen, zwei Wasserröhren unterhalb der beiden Wappenschilder des Grafen von Tendilla sowie drei maskenhafte Männerköpfe, die von links nach rechts die granadinischen Flüsse bzw. drei Jahreszeiten, den Genil oder den Sommer, den Beiro oder den Frühling und den Darro oder den Herbst symbolisieren. Unterhalb des kaiserlichen Wappens mit Adler und der Devise PLVS OVLTRE auf gewellt flatternden Banderolen, bekrönt von einem Engel, findet sich die Inschrift IMPERATORI CAESARI / KAROLO QVINTO / HISPANIARVM / REGI, flankiert beidseitig von den heraldischen Sinnbildern Karls, links dem persönlichen Emblem, u.a. erneut mit dem römischen Adler auf der Erdkugel zwischen den Säulen des Herkules, rechts dem Emblem des Ordens vom Goldenen Vlies. Zu den weiteren Schmuckelementen gehören zwei Granatäpfel. Die wohl wichtigste Bedeutung im Rahmen ihres ikonographischen Programms eignet aber im oberen Drittel der Wand den – heute teilweise bis zur Unkenntlichkeit verwitterten – Sandstein-Halbreliefs in vier Medaillons mit mythologischen Themen und den ihnen verbunden gewesenen Inschriften. Von links nach rechts sind dargestellt: Herkules tötet die Hydra von Lerna148 ( Inschrift: Non memorabitur vltra ) – entweder der Raub der Europa149 oder Phrixos und Helle auf dem Widder mit dem goldenen Vlies150 ( Inschrift: Imago mysticae honoris ) – Apollon und Daphne ( Inschrift: A Sole fugante fugit) – Alexander der Große zähmt Bucephalus ( Inschrift: Non sufficit orbis ).
IV
In der eindrucksvollen Großartigkeit des Baues wie aus einem Guß151 entsprach der Palast in seiner Ausstrahlung von kaiserlicher Würde, von Autorität und Hoheit, von Macht und Herrschaft gemäß Rosenthal jenem heroischen Bild, in dem sich Spanien während der ersten zwei Drittel des 16. Jahrhunderts widergespiegelt gesehen habe152. Diese Deutung beruht offensichtlich auf der Annahme, daß sich Kastilien – es ist historisch zutreffender von Kastilien als von Spanien zu sprechen – während der gesamten Regierungszeit Karls V. ein überliefertes Selbstverständnis ungebrochen bewahrt habe. Diese These trifft nicht zu. Zum Zeitpunkt des habsburgischen Herrschaftsantritts identifizierten sich die Kastilier voller Stolz auf ihre Erfolge im Kampf gegen die Mauren, über die Entdeckung ‚Westindiens‘ und über dessen beginnende Kolonisation mit jener Vorstellung von einer von jedweder fremden Gewalt unabhängigen ‚Nation‘, die ihnen über die Katholischen Könige und deren politisches Werk vermittelt worden war. Daher wehrte sich Kastilien in den ersten Regierungsjahren Karls dagegen, daß sein Königtum einem fremden Kaisertum nachgeordnet zu werden drohte und daß ganz allgemein ausländische Institutionen an die Stelle der überlieferten eigenen traten153. Diese Auseinandersetzungen sind ein Beleg für die Problematik, die der dynastischen Politik innewohnte154. Die Kastilier erkannten zwar den jungen Habsburger als ihren König an, jedoch nicht als ‚Karl V.‘, sondern als ‚Carlos I‘155. Als Karls vertrauter kastilischer Ratgeber Bischof Pedro Ruíz de la Mota vor den kastilischen Cortes zu Santiago – La Coruna anläßlich der Abreise des Königs zur Aachener Krönung am 31. März 1520 in einer Rede versuchte, angesichts des sich bereits abzeichnenden Aufstandes der Comuneros den christlich-universalen Charakter des Imperium Romanum mit dem kastilischen Selbstverständnis zur Deckung zu bringen, verwandte er Formulierungen, die Ramón Menéndez Pidal als übereinstimmende Überzeugung von Fürst und Berater wertet156 und damit ihre funktionale Rolle im Kontext politischen Tagesgeschehens verkennt157. Nach Menéndez Pidal hatte sich der junge König mit einem Herrschaftsverständnis identifiziert, das geprägt war durch das Vorbild seiner spanischen Großeltern und das die Aufgaben und Pflichten seines Kaisertums aus der nationalen Tradition einer kastilischen ‚idea imperial‘ herleitete. Auf Kastilien bezogen akzeptierte diese Überlieferung weder eine Ein- oder gar Unterordnung in das Sacrum Romanum Imperium noch eine universalistische Politik in dessen Kontext. Eine derartige Tradition entsprach jedoch nicht dem Selbstverständnis des habsburgischen Sprosses – unbeschadet der Problematik, ob dieses sich vornehmlich aus einem durch sein mannigfaltiges Erbe geprägten Bewußtsein speiste und aus einer entsprechenden Haus- und Familienpolitik und nachfolgender dynastischer Weltpolitik im Sinne der Interpretation von Karl Brandi herleiten läßt158, ob es bestimmt war von der mittelalterlichen sakralen Kaisertradition gemäß der Deutung seiner Leitvorstellungen durch Peter Rassow159 oder dem Leitbild einer ‚Monarchia Universalis‘ folgte160. Daß das Herrscherbewußtsein des jungen Habsburgers auch aus anderen Wurzeln gespeist sein konnte als aus einer unmittelbaren Rückbesinnung auf die antiken römischen Kaiser und ihre Tradition, wird von Rosenthal kaum erwogen161. Er argumentiert auf der Basis der südeuropäisch-spanischen Interpretation, weniger auf der angelsächsischen, und hat die mitteleuropäische Sicht offenbar nicht zur Kenntnis genommen162. Zugleich reflektiert er kaum, daß im Verlauf der nachfolgenden Jahre nicht nur die Kastilier im Umfeld der kaiserlichen Berater und Mitarbeiter, sondern auch ein weiterer Kreis in Kastilien einschließlich der Cortes die universale Politik Karls V. nicht nur hinnahmen, sondern allmählich akzeptierten, sogar bejahten und sich zuletzt mit ihr so identifizierten, daß sie dem Kaiser materiell und personell bei der Bewältigung seiner Weltpolitik halfen und diese einschließlich der Bekämpfung der ‚lutherischen Häresie‘ als nationale Verpflichtung begriffen. Im Vergleich zu den Anfängen der Casa de Austria in Spanien begann sich langsam das kastilische Identitätsbewußtsein und damit der Gehalt des ‚heroischen Bildes‘ zu wandeln. Die Verschmelzung von Hispanität und Universalität setzte ein im Bereich der Diplomatie, indem die Gesandten Karls V. ab 1519 eine „Doppelvertretung“ wahrnahmen, als spanische und kaiserliche Botschafter zugleich auftraten163. Um 1550 eignete den Spaniern ein anderes Selbstverständnis als 1517, war an die Stelle des überlieferten nationalen ein universales politisches Denken getreten. Spanien spiegelte sich in einem neuen ‚heroischen Bild‘.
Karl V., lebenslang davon überzeugt, es sei Gottes Wille und Fügung gewesen, daß ihm zusammen mit seinen Ländern auch die Kaiserwürde und -bürde zuteil wurde, verdankte sein Gesamtreich dynastisch bedingten Erbfällen164 und der Wahl von 1519. Dieses Erbe zu bewahren, prägte ebenso als Verpflichtung sein Selbstverständnis wie das Amt des Kaisertums165 – eines Kaisertums, dem er sich mit der Wahl zum römischen König verpflichtet fühlte in der unerschütterlichen Gewißheit, daß diese christliche Würde ihm einen Vorrang gegenüber allen Herrschern einräume. Der Gedanke einer universalen Aufgabe im Ordnungssystem des Sacrum Romanum Imperium läßt sich begrifflich als Kaiseridee fassen. Daß sie von Machtstreben bestimmt sei und Weltherrschaft im Verständnis einer politisch begründeten und ausgerichteten Universalmonarchie bedeute und zu Usurpation und Tyrannei führe, hat Karl stets zurückgewiesen, dagegen beansprucht, im Interesse des Wohles der gesamten Christenheit zu handeln166. Sein dynastisches Denken und sein Selbstverständnis vom Kaisertum gestanden ihm zwar kein Recht zu, sein ererbtes Weltreich durch Eroberungen zu vergrößern, verpflichteten ihn jedoch, verlorengegangene Besitzungen – wie die Bourgogne – zurückzugewinnen und als weltliches Haupt der Christenheit im Sinne des ‚protector et defensor ecclesiae‘ die römisch-katholische Kirche zu schützen und einen Zustand allgemeinen Friedens herzustellen. In diesen Kontext ordnen sich die Kriege gegen Frankreich ebenso ein wie die Kämpfe gegen die osmanischen Türken und ihre islamischen Verbündeten einschließlich der Kreuzzugsideen. Dennoch läßt sich die kaiserliche Politik keineswegs als rein defensiv ausgerichtet interpretieren167. Schon Karls persönliche Bekundungen erweisen sich als widersprüchlich. So riet er zum Beispiel einerseits seinem Sohn im Rahmen von Überlegungen, die als politisches Testament gewertet werden können, den Frieden zu hüten und den Krieg zu vermeiden, ihn nur zu führen, wenn er ihm zur Verteidigung aufgezwungen werde168. Andererseits verwies er nur wenige Jahre später beim Diktat seiner Memoiren voller Stolz darauf, daß er das Gute, was er bewirkt habe, den Siegen verdanke, bei denen er an der Spitze seiner Heere stand169.
Dieser historische Kontext läßt die These zu, daß Karls V. Bauwerk in der Alhambra zu Granada weder im erasmianischen Geist170 – der am Hof einflußreiche Rezipienten besaß171 – noch etwa gemäß den Vorstellungen des Antonio de Guevara172 von einem schlichten königlichen Wohnsitz konzipiert werden konnte, sondern im Verständnis eines kaiserlichen, d. h. feierlichen, gemessenen und zugleich triumphal wirkenden Palastes für einen Kriegshelden („héroe guerrero“, „héroe militar“)173. Entsprechend kann das ikonographische Programm mit Einschluß der Fresken im Peinador de la Reina174 als der Ort bezeichnet werden, an dem in großer Fülle und mit innerem Zusammenhang die Idee des Kaisertums durch einen Rückgriff auf die Mythologie in dem Verständnis verherrlicht wurde, daß des Kaisers Siegeszüge ihre moralische Grundlage und Rechtfertigung in den persönlichen Tugenden Karls besaßen175. Was besagen dann aber die Friedensallegorien, auf deren historische Einordnung und Deutung alle Autoren fast gänzlich verzichten?
Kriegsheld heißt auch für Checa Cremades keinesfalls, daß hier der Kaiser als kriegswütig gekennzeichnet wurde – eine Zuschreibung, die sich dagegen im Verständnis von ‚Kriegsfürst‘ literarisch im Zusammenhang mit dem Schmalkaldischen Krieg häufiger findet176. Das gesamte ikonographische Programm enthält beispielsweise keinen Bezug auf Mars177, und in den zwei Ausfertigungen der einen Friedensallegorie wird dementsprechend nicht dessen Bändigung durch Venus dargestellt, jene Liebesszene bzw. Zähmung des Kriegsgottes, die seit der Renaissance unter Rezeption antiker Vorstellungen die – nur zeitweise – Überwindung des Krieges thematisierte178. Die in ihrer Gestaltung meiner Kenntnis nach einmalige Friedensallegorie bildete den Abschluß eines Programms, das in mythologischer Bildsprache das Werk des Kaisers reflektiert. Es wird moralisch versinnbildlicht als ein Weg des mühevollen, aber erfolgreichen politischen Kampfes unter Einsatz militärischer Mittel gegen das Böse, der gekrönt wird mit dem Sieg des Guten, welcher ohne Kriege nicht zu erlangen ist179. Am Beginn dieses Weges steht das Ziel, mannigfach verbildlicht über den persönlichen Wahlspruch im Zusammenhang mit der von den Säulen des Herkules umschlossenen Erdkugel sowie über das Bekenntnis zu den Aufgaben des Ordens vom Goldenen Vlies. Seine Devise umzusetzen erfordert Tugenden, wie sie Herkules eigen waren, und Werke, wie er sie vollbracht hatte.
Herkules als mythologisches Vorbild zu verwenden, war in Spanien wie im Europa des 15./16. Jahrhunderts nicht ungewöhnlich, in der monarchischen Ikonographie sogar geläufig180– so auch bereits in noch bescheidenem Maße von Maximilian I. genutzt181 – , im Zusammenhang mit dem Kaiser erreichte dieses Thema aber seine höchste Bedeutung am Palast und Pilar Karls V. Auf den vier Halbreliefs am ‚Pilar de Carlos V‘ wurde diese Idee im Umfeld des Palastes erstmals verbildlicht. Checa Cremades182 interpretiert sie als Verweise auf den Kaiser als Ritter ( Alexander ), als mutigen und tugendhaften Mann ( Herkules ), als Angehörigen des Ordens vom Goldenen Vlies ( Phrixos und Helle ) und als gesitteten Helden ( „héroe civilizador“ – Apollon und Daphne ). Diese Deutung läßt sich im Anschluß an Rosenthal mit weiterführenden Überlegungen vertiefen. Im Bilde Alexanders, der selbst sein Geschlecht auf Herkules zurückgeführt hatte183, wird über die Inschrift reflektiert, daß die Erdkugel nicht groß genug ist für das Wirken des zeitgenössischen Helden – des Kaisers, begriffen im Sinnbild der Weltkugel zwischen den Säulen des Herkules184. Ein zeitgenössischer Bezug scheint auch in der Verfolgung Daphnes durch Apollon vorzuliegen, erfaßt in dem Augenblick, da sich die Nymphe in einen Lorbeerbaum zu verwandeln beginnt. In Verbindung mit dem Text steht Daphne stellvertretend für Heiden und Häretiker, die vergeblich versuchen, sich der christlichen Wahrheit zu entziehen185. Im dritten Bild ist nicht der Raub der Europa dargestellt186, sondern über Phrixos und Helle187 ein Bezug zur Mythologie des Goldenen Vlieses und damit zur Ordensaufgabe des Kampfes gegen die Türken gegeben. Im letzten Bild verweist das mythische Untier der neunköpfigen Wasserschlange, die Hydra, auf die Vielfalt der Gefahren des Kampfes; ihre Thematisierung im Kontext der Inschrift mit ihrem offenbaren Bezug auf den kaiserlichen Wahlspruch läßt als Erklärung die These zu, daß Karls Werke als denen seines ‚Ahnherrn‘ Herkules zumindest ebenbürtig zu sehen seien, dessen Taten sogar in den Schatten stellen, sie vergessen lassen. Zugleich kann das Bild historisch – im Zusammenhang mit dem als dauerhaft eingestuften kaiserlichen Erfolg über den Schmalkaldischen Bund – gedeutet werden als Sieg über die protestantische Häresie188. Die Interpretation, daß Karls Werke höher gewertet werden müßten als die des Herkules und Alexander des Großen, wird in der Bildfolge von links nach rechts reflektiert, in der jeweils zwei der Halbreliefs den Doppeladler flankierend auf dieses Symbol des Heiligen Römischen Reiches verweisen – einen Reichsadler, der im Wappenschild den unmittelbaren Bezug auf Karl V. enthält.
An der Südfassade des Palastes189 verbreitet Fama die Kunde von den maritimen Erfolgen und von der Seeherrschaft des Kaisers über das Mittelmeer, errungen vor allem im Tunisfeldzug von 1535, mythologisch erfaßt in den Szenen mit Neptun190 – Erfolge, an die Historia erinnert; wahrscheinlich sollten Fama und Historia diese auf den Tafeln vor ihnen inschriftlich verzeichnen191. Auf Werken militärischer Stärke beruht also jener Reichtum, der von Abundantia und anderen Symbolen des Überflusses in bunter Fülle verkündet wird, auch auf der ‚Puerta de las Granadas‘. Nicht zuletzt spiegelt sich der militärische Triumph in den Portalpostamenten wider, falls es sich um die Wiedergabe von Kriegstrophäen handelt192; Tropaia aus den Kämpfen gegen die islamischen Feinde müßten jedoch deren Waffen entsprechen, und ein Bezug etwa zu einem militärischen Erfolg wie Pavia ist dem Programm nicht zu entnehmen. Können die Waffen nicht auch im Sinne von ‚Si vis pacem, para bellum‘ gelesen werden, also als Hinweis darauf, daß Rüstung eine Voraussetzung der Kriegserfolge ist193? Offen bleibt die Deutung der ruhenden Löwen, eines königlichen Symbols und vielleicht Sinnbild für Wachsamkeit194. Als Gesamtwerk führt die Südfassade zu der Aussage, daß die Siege des Kaisers seinen Untertanen ein Leben in Sicherheit und Wohlstand garantieren195.
Alle bisherigen Aussagen erscheinen noch einmal verdichtet in den Bildern der Westfassade, die schon im Portal mit seinen abgestuften drei Eingängen an einen römischen Triumphbogen erinnert und über die Fenstertüren des Hauptgeschosses dem Kaiser ermöglicht hätte, sich seinen ‚Untertanen‘ zu zeigen196. Auch wenn die Halbreliefs zu beiden Seiten des Wappens Philipps II. erst im letzten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts entstanden sind, dürften sie sich nicht auf den Nachfolger Karls beziehen197, sondern das ikonographische Programm fortschreiben, das einen Palast ’schmückt‘, der mit der Person seines ursprünglichen Bauherrn – dem neuen Herkules – verbunden blieb, und das heißt mit dem Kaiser. Dafür spricht die Verehrung, die Philipp II. zeit seines Lebens dem Vater gegenüber hegte. Sie kann sich auch in dem Wappen an der Westfassade niedergeschlagen haben: Es läßt sich als Verweis auf den ursprünglichen Bauherrn und zugleich als Dokumentation der Fortführung seines Werkes durch den Nachfolger interpretieren198. Mit Sicherheit entstanden in diesem Zusammenhang die Halbreliefs der Reitergruppen über den Seitentüren, obgleich sie sich bisher inhaltlich nicht befriedigend deuten ließen199. Sie wurden gearbeitet von Antonio de Leval – jenem Bildhauer, von dessen Hand u. a. auch das rechte Halbrelief der Schlacht von Mühlberg und die rechte Friedensallegorie als eine Replik200 des Originals von Juan de Orea stammen. Die Kampfesszenen auf den Frontplatten und an den Seitenwänden der Portalpostamente und mit großer Wahrscheinlichkeit auch die Reitergruppen in den großen Medaillons sowie beide Victoria – Allegorien rühmen den Mühlberger Sieg des Kaisers und die Kampfbereitschaft seiner Soldaten, preisen die Wirkungen seiner Arbeit und militärischen Erfolge, diesmal im Landkrieg, verweisen über die Knaben, ihre Girlanden und andere Ausdrucksmittel für Überfluß auf Wohlstand, Reichtum und Fülle. Zugleich verknüpfen beispielsweise die Girlanden zu beiden Seiten der Türen die Westfassade mit der römischen Tradition201. Alles aber ist Beiwerk – Beiwerk zur zentralen Aussage der Friedensallegorien.
Gegen Ende der ersten Jahrhunderthälfte ließen sich die Versprechungen bzw. Verpflichtungen der Sinnbilder als eingelöst bewerten: Die kastilischen Besitzungen in ‚Westindien‘ standen gesichert unter dem Schutz Karls V. – gesichert u.a. auch durch Bestimmungen des Friedensschlusses zu Crépy mit Frankreich als jenem Gegner, mit dem der Kaiser nach vier Kriegen zu einem Ausgleich gelangt zu sein hoffte; gebannt schien die unmittelbare Bedrohung Spaniens, aber auch des ganzen christlichen Europas durch die islamischen Glaubensfeinde; der Sieg im Schmalkaldischen Krieg führte zu der Erwartung, daß die Gefahren abgewendet worden waren, die dem überlieferten römisch-katholischen Glauben und seiner Kirche durch die ‚lutherische Häresie‘ gedroht hatten. Somit hatte der Herr des Palastes durch seine Tugenden und durch seine Leistungen als Kriegsheld nicht nur die Taten des Herkules übertroffen, sondern die ‚pax romana‘ wiedererrichtet, einen dauerhaften Frieden für die nunmehr christliche Welt bewirkt. Die von den Säulen des Herkules umschlossene Welt wurde beider-, bzw. allseits symbolisch als befriedet dargestellt durch die besondere Form einer doppelten Verbildlichung der Pax.
Daß der Friede zwischen den Christen nunmehr gewährleistet erschien, war eine Vorstellung, die nach 1547 besonders in Südeuropa verbreitet war, gefördert durch eine kaiserliche Propaganda, die Karl als Friedensbringer und Friedensfürst feierte202. In einen derartigen Kontext ordnete sich der ‚krönende Abschluß‘ des ikonographischen Programms zu beiden Seiten des Hauptportals der ‚kaiserlichen‘ Westfassade ein. Dieses, wahrscheinlich vom Kaiser selbst oder zumindest aus seinem engeren Umfeld initiierte Programm spiegelte einerseits den Sachverhalt wider, daß der Kaiser die Aufgaben des protector et defensor ecclesiae erfolgreich wahrgenommen zu haben schien – er gewährte Schutz vor den Türken und hatte im ‚Ketzerkrieg‘ gesiegt. Andererseits hatte sich Kastilien mit diesen Funktionen des Kaisers der Christenheit nunmehr als eigenen identifiziert und die Politik seines Königs als Kaiser akzeptiert203 – dokumentiert nicht nur in Schrift-204, sondern auch in den Werkstücken des Palastes zu Granada. Die Aussagen der architektonischen Formen des Palastes und dessen ’nachgeschobener‘ ikonographischer Schmuck stimmten überein – auch darin, daß infolge derartiger Identifikation die Bekämpfung des deutschen Protestantismus ebenso wie schon zuvor der Kampf gegen den Islam als eigene, ’nationale‘ Aufgabe begriffen wurde. Kaiserliche Siege waren nunmehr spanische Siege. Militärische Erfolge mit nachfolgender – erwarteter – Bewahrung des Friedens trugen mit Ruhe und Ordnung auch Reichtum ein, wie Pax und Abundantia mehrfach verkündend bekunden. Als Gesamtwerk war der Palast im äußersten Süden kaiserlicher Herrschaft in Europa ein Bekenntnis zur Pflicht des Herrschers, die Christenheit nicht nur zu sichern und den überlieferten katholischen Glauben uneingeschränkt zu bewahren, sondern auch über den ganzen Erdkreis zu verbreiten – bis zu den Polen mit ihrer Inanspruchnahme durch die Verlagerung der Säulen des Herkules205. Überhöht wird der Stolz auf die bisherigen Leistungen i h r e s Kaisers durch den Glauben, das Böse dauerhaft bezwungen zu haben, verbildlicht in den Friedensallegorien auf den zentralen Hauptportalpostamenten des Palastes Karls V. – einem Dokument menschlichen Hoffens und Irrens in zeitüberdauerndem Marmor206.
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